Tiger Eye
stürzten sich auf den Angreifer und rissen ihn von ihr weg. Aber es war ein heftiger Kampf; der Fremde war sehr kräftig und wollte ihre Hand nicht loslassen; als er es schließlich musste, entrang sich ein Schrei seiner Kehle; ein frustriertes, wütendes Bellen.
Dela drehte sich zum Taxi herum und tastete hektisch nach dem Türgriff, während sie unverwandt auf das attraktive Gesicht des Mannes starrte, das nun vor Hass verzerrt war. Der Drang zu fliehen überwältigte sie, also klopfte sie mit den Knöcheln gegen die Plastiktrennscheibe. Der erschreckte Fahrer wartete nicht darauf, dass sie ein Ziel angab. Er fädelte sich rücksichtslos in den Verkehr ein, ein misstönendes Konzert von quietschenden Reifen und gellenden Hupen umgab sie. Innerhalb von Sekunden blieben der Dreckmarkt und der Kampf vor seinem Eingang, der nach wie vor weiterging, hinter ihnen zurück.
Dela rieb sich fröstelnd die Arme. Ihr Gesicht glühte unter ihren Handflächen, der Rest ihres Körpers aber brannte vor Kälte. Sie ließ den Kopf zwischen die Knie sinken und atmete tief und ruhig durch. Das half zwar gegen das überraschende Gefühl von Übelkeit, doch ihr Herz schlug immer noch schmerzhaft gegen ihre Rippen. Sie schaffte es, dem Fahrer den Namen ihres Hotels zu nennen, umklammerte dann ihre schmerzende Hand mit der anderen und versuchte zu vergessen, wie die Finger des Fremden ihre Haut und Knochen zusammengepresst hatten, die heiße Asche seiner Haut, das kühle, zitternde Drängen gegen ihr Bewusstsein.
Plötzlich, als sie die Erinnerung dieser Empfindung wahrnahm, umgab eine große Stille Dela. Sie konnte an einer Hand abzählen, wie oft ein Fremder absichtlich versucht hatte, seinen Verstand dem ihren aufzudrängen, und obwohl ihr Abwehrschild solide war - dafür hatte ihr Bruder gesorgt -, war Dela nicht gewillt, sich mit jemandem zu messen, der ihr wirklich etwas anhaben wollte.
Aber er wusste erst am Ende, dass ich anders bin. Was bedeutete, dass dieser Fremde ihr aus einem anderen Grund aus dem Dreckmarkt gefolgt war, einem Grund, der nichts mit ihren PSI-Fähigkeiten zu tun hatte. Dela erinnerte sich an seine kalten, dunklen Augen, mit denen er die alte Frau gemustert hatte, lange bevor er seine Aufmerksamkeit auf sie, Dela, richtete. Was hatte er nur vor, was wollte er denn?
Durch den Stoff ihrer Tasche spürte Dela etwas Hartes. Die Rätselschatulle. Schlagartig begriff sie, und fast hätte sie auf der Stelle ihre billige Erwerbung untersucht. Doch sie ertappte den Taxifahrer dabei, wie er sie im Rückspiegel musterte - und zögerte. Wenn sie tatsächlich gerade so etwas Schreckliches wie Drogen oder Gott weiß was erworben hatte, wollte sie keine Zeugen, wenn sie ihre Nase in Schwierigkeiten steckte. Falls die Rätselschatulle Schwierigkeiten enthielt.
Er kann mich nicht finden, rief sich Dela ins Gedächtnis. Dieser Spinner hat keine Ahnung, wo ich stecke, und Peking ist eine große Stadt. Es war ein Trost, wenn auch nur ein geringer.
Als Dela im Hotel ankam, hastete sie zu ihrem Zimmer hinauf, ohne auf die befremdeten Blicke zu achten, die ihr die Leute zuwarfen. Sie sah in den polierten Stahltüren des Aufzugs ihr Spiegelbild und zuckte zusammen. Die oberen Knöpfe ihrer Bluse waren aufgesprungen, ihr Gesicht war knallrot, und ihr Haar sah... schlicht und einfach schlimm aus.
»Runde Eins geht an den Bösen Büttel des Satans«, murmelte sie und hielt ihre Bluse mit der Hand zusammen. Ein Geschäftsmann, der neben ihr stand, betrachtete sie merkwürdig, und Dela lachte schwach - was ihn nicht gerade zu beruhigen schien.
Kaum in ihrem Zimmer angekommen, sperrte sie sämtliche Schlösser ab und warf ihre Handtasche aufs Bett. Die in das Leinentuch gehüllte Schatulle fiel auf die burgunderrote Tagesdecke heraus, und Dela starrte sie eine ganze Minute nur an. Dann ging sie ins Bad und duschte. Noch mehr schlechte Nachrichten konnte sie nicht verkraften, jedenfalls nicht sofort. Sie wollte sich unbedingt den Morgen von der Haut schrubben, die Spuren von der Gegenwart dieses Fremden, die ihr immer noch anhafteten.
Dela blieb fast unanständig lange unter dem heißen Strahl stehen, bis sie endlich aufhörte zu zittern. Unendlich viel ruhiger hüllte sie sich in das flauschige Badetuch, wickelte ein dickes Handtuch um ihr Haar und kehrte in das Schlafzimmer zurück. Mit einem Seufzer ließ sie sich aufs Bett fallen und nahm die eingewickelte Schatulle von der Decke. Was für ein kleines, unschuldiges
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