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Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger

Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger

Titel: Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaux Fragoso
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Schulter. »Hör zu: Geh nicht davon aus, dass unser Leben mehr Bedeutung hat als die Sonne, die auf- und untergeht. Geh nicht davon aus, dass sie das immer tut; wir wissen es nicht. Wenn ich aufwache, erwarte ich nicht, dass die Sonne aufgeht, aber wenn sie es tut, ist es für mich ein Geschenk.« Ich musste daran denken, dass Poppa in meinem Alter Gedichte geschrieben und es dann aufgegeben hatte. Dass er das Leben eigentlich nicht so lebte, als sei es ein Geschenk; jeden Tag erzählte er, er sei verflucht. Aber es war wie seine Bemerkung, Peters Selbstmord sei mutig gewesen: Er sagte es nicht, weil er davon überzeugt war, sondern damit ich es aus irgendeinem Grund glaubte.
    »Trotz allem, was mir passiert ist, mache ich weiter. Ich trauere, aber nicht zu lang. Das Leben ist zu kurz, um immer zu trauern. Deshalb habe ich auch einen Spitznamen bekommen. Meine Freunde nennen mich den Partyman .«
    Ich grinste vor mich hin. Ich hatte Poppa den Rücken zugedreht, so dass er mich nicht sehen konnte. Als ich ihm einen Blick zuwarf, lächelte er ebenfalls. »Ich bin der Partyman . Für Eduardo, José, Felix, Ricardo. Für meine Freunde, für die Barmänner und Mädchen: Wenn sie mich sehen, winken sie mich gleich zu sich, und dann wird es lustig. Ich bin gut drauf. Ich kenne die besten Witze. Ich gehe irgendwo rein, und es kommt Leben in die Bude. Ich kann überall feiern: im Krieg, im Frieden, während einer Wirtschaftskrise, einer Naturkatastrophe, einer persönlichen Krise. Auch wenn ich traurig bin, ich trinke weiter. Ich sehe mir mit meinen Freunden ein Pferderennen an, ein Baseballspiel, ich habe meinen Spaß, mache weiter. Und deshalb werde ich nie so enden wie dein Freund Peter.«
    ***
    Elf Monate nach Peters Tod nahm ich eine Stelle als Leiterin einer katholischen Vorschule in Jersey City an. Jedes Mal, wenn ich zu der Wohnung zurückkehrte, die ich mir nun mit Anthony teilte, war ich total erschöpft.
    Als ich eines Tages bei strömendem Regen vom »Circle«, New Jerseys tückischster Kreuzung, auf die Route 7 fuhr, entdeckte ich mehrere Wagen, die einen Meter tief im Wasser standen; keiner der Fahrer war verletzt, aber es lag auf der Hand, dass sie nicht mehr weiterkamen. Ich wurde langsamer, wollte erst anhalten, doch auf eine Eingebung hin drückte ich das Gaspedal durch. Der Mazda kam nicht weit. Von allen Seiten von den Wassermassen eingeschlossen, tat Peters Auto einen letzten Hopser und erstarb. Wasser sickerte durch die Ritzen in Türen und im Boden. Feuerwehrleute holten mich mit einem Boot heraus. Ich stieg aus, nachdem ich rettete, was noch zu retten war: meine CDs und einige Bücher, die im Wagen lagen. Alles andere, von den Polstern bis zum Motor, war verloren – ein Riese futsch, wie Poppa später fluchte, verloren im wässrigen Grab. Doch als ich voller Stolz zu ihm sagte, ich hätte jetzt Arbeit und würde ihm jeden Cent seiner geliehenen fünfhundert Dollar zurückzahlen, hob er die Hand und sagte, es sei nicht meine Aufgabe, die Schulden eines anderen Menschen zu begleichen.
    ***
    Seit Peters Tod war mir, als erwachte ich aus tiefem Schlaf zum Geheul eines Hundes oder Wolfs draußen in der Wildnis. Als hätte ich etwas geträumt, das von Sekunde zu Sekunde blasser wird. Das Fenster bläulich-schwarz, der Wind in den Vorhängen, als würden sich Augen öffnen. Es war zwei oder drei Uhr oder irgendeine andere Nicht-Zeit. Ich hätte eine frisch geschlüpfte Schildkröte sein können, die sich zum Ufer vortastet. Ich hätte ein sich teilendes Atom oder verdampfendes Wasser sein können. Gott hätte mir Augenwimpern aus der Asche eines Feuers geben können. Ich hätte ein wachsender Embryo sein können, dessen Augen sich im weichen Schädel bildeten. Ich hätte zwanzig Mal sterben können, aber all das zählt jetzt nicht mehr.
    ***
    Auf dem Rückweg von Coney Island parkt Peter den Suzuki während eines Platzregens unter einer Brücke, und wir küssen uns mit der Zunge inmitten von gelben Kästen, orangefarbenen Verkehrshütchen, aus Fenstern geworfenem Müll. Unter der Brücke, wo uns niemand sehen kann, sind wir wagemutiger. Wagemutig in Peters Zimmer bei verschlossener Tür. Am verlassenen Strand.
    Dort ist der Himmel von Coney Island, rosarot. Dort sind wir in der U-Bahn und fahren in die Stadt. Jetzt sind wir da, oben auf dem Empire State Building, der Wind reißt uns fast die Haare vom Kopf. Wir fahren Schlittschuh auf der harten Eisbahn; das ist riskant, weil Peter schon bei einem Sturz

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