Tigerlilie - Paul, I: Tigerlilie
Musterbeispiel eines Dieners.“
Anna zuckte mit den Schultern. „Er ist Lord Munthorpes Leibdiener.“ Sie schenkte Lucas und sich Tee ein und reichte ihm die Tasse.
Lucas nickte. „Ich verstehe.“ Er rührte seinen Tee um, legte den Löffel ab und sah Anna in die Augen. „Die Nachricht über Eure Heirat mit Lord Munthorpe hat mich überrascht.“
Annas Magen begann, sich zu verkrampfen. „Ja?“ Sie nahm einen gezierten Schluck aus ihrer Tasse.
Der blonde Earl sah sie forschend an. „Auf Ellesmere Manor hatte ich nicht den Eindruck, Eure Zuneigung gälte Lord Munthorpe.“
Anna lachte gezwungen. „Ihr kennt doch die alte Weisheit: Was sich liebt, das neckt sich.“
Lucas brummte. Er beugte sich vor und legte seine Hand auf Annas.
„Anna, wenn er Euch bedrängt oder bedroht …“ Er holte Luft. „Ihr wisst, dass ich Euch auf jede nur erdenkliche Art und Weise beistehen werde?“
Anna schwieg einen Moment verwirrt und sagte dann: „Es ist alles in Ordnung, Lucas. Wirklich. Unsere Heirat war überstürzt und abenteuerlich. Doch ich versichere Euch, dass es mir gut geht.“ Lucas’ Sorge rührte sie. Vor allem, da sie mit seiner Besorgnis nicht gerechnet hatte.
Sophie hatte sie vor einigen Tagen besucht und von ihr die haarsträubenden Gerüchte erfahren, die über sie und Christopher in Umlauf waren. Offenbar herrschte im ton die Meinung, Christopher habe sie geschändet, entführt und zur Heirat gezwungen.
Anna hatte Sophie vorgelogen, dass ihre vermeintliche Krankheit nach ihrer Rückkehr vom Landgut der Winchesters heftiger Liebeskummer gewesen sei. Als sie Christopher aufsuchte, um ihn damit zu konfrontieren, hatte er ihr gestanden, ebenfalls in Liebe entbrannt zu sein und ihr einen Antrag gemacht. Sophie hatte ihr die Lüge abgekauft und sofort versprochen, den schlimmsten Klatschmäulern des ton die Wahrheit zu erzählen.
Dann, meinte Sophie, würden die scheußlichen Gerüchte über Christopher und Anna bald in Vergessenheit geraten. Einzig ihrer Brieffreundin Jane setzte Anna annähernd über den tatsächlichen Ablauf der Geschehnisse in Kenntnis. Den Teil mit der fehlenden Trauung verschwieg Anna aber auch Jane.
Lucas stellte seine Tasse auf den kleinen Beistelltisch. Die Untertasse klirrte. Er nahm Annas Hände zwischen seine.
„Anna, kennt Ihr Munthorpe?“ Er brachte sie mit einer Handbewegung zum Schweigen. „Ich meine, die Gerüchte, die über ihn in Umlauf sind?“
Anna zuckte mit den Schultern. „Selbstverständlich. Soweit ich beurteilen kann, gibt es keine schlimmeren Berichte, als die, die die meisten Herren des ton über sich ergehen lassen müssen. Und falls Ihr auf die empörenden Lügen anspielt, die man sich über unsere Heirat erzählt, versichere ich Euch, Lucas: Ich war anwesend, und nichts davon entspricht der Wahrheit.“
Lucas warf ihr einen seltsamen Blick zu und rutschte unruhig auf seinem Sessel herum. „Also wisst Ihr nichts! Verzeiht, meine Liebe, wenn ich es so unverblümt ausdrücke. Man hat bisher vermieden, Euch von den leichten Mädchen, den Straßendirnen zu berichten, die Munthorpe in regelmäßigen Abständen in sein Haus bringt?“
Die Neuigkeit traf Anna wie ein Schlag ins Gesicht. „Wie bitte?“
Er tätschelte ihre Hand beruhigend. „Vergebt mir, dass … „
„Nehmt Eure Hände von meiner Frau und ich vergebe Euch!“
Lucas zog seine Arme zurück, als hätte er sich verbrannt, und erhob sich.
Christopher stand in der Tür. Seine Augen glitzerten angriffslustig, und seine Lippen waren harte Striche im versteinerten Gesicht.
„Christopher, was machst du hier?“
Er begrüßte Lucas St. Clare mit harschem Kopfnicken und wandte sich Anna zu.
„Long Tian informierte mich über unseren Gast.“
Anna zog die Nase kraus. Selbstverständlich hatte Long Tian nichts Besseres zu tun gehabt, als Christopher zu informieren, dass männlicher Besuch im Haus war.
Anna beschloss, sich nicht provozieren zu lassen.
„Setz dich zu uns, mein Lieber! Eine Tasse Tee?“
Er nickte, ohne Lucas aus den Augen zu lassen.
„Führt Euch ein besonderes Anliegen zu uns?“
„Nein, Lord Munthorpe, ich mache Eurer liebreizenden Gemahlin lediglich die Aufwartung.“
Christopher nahm die Tasse entgegen und stürzte den Inhalt in einem Zug hinunter. Er stellte die Teetasse ab.
„Wir haben Euch lange genug aufgehalten, Lord Pembroke.“ Christopher erhob sich.
Lucas warf Anna einen kurzen Blick zu, ehe er ebenfalls aufstand.
„In der Tat, ich sollte
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