Tigerlilie - Paul, I: Tigerlilie
langen Tafel Platz. Anna warf ihm einen liebenswürdigen Blick zu und plauderte mit ihren Tischnachbarn, einer älteren Dame, der sie schon häufiger auf Veranstaltungen begegnet war, und einem Jüngling, dem Neffen der Dame, der gerade erst von seiner Grand Tour zurückgekehrt war.
Die Diener trugen die Vorspeisen auf, und alles verlief reibungslos.
Anna gratulierte sich bereits zu dem gelungenen Abend, obwohl sie wusste, dass Christopher eine Überraschung für das Hauptgericht geplant hatte. Da sie jedoch nicht annahm, dass er ihren Gästen gegrillte Ratten oder gefüllte Hundewelpen servieren lassen würde, blieb sie gelassen, bis das Dienstpersonal die Hauptspeise auftrug.
Wie auf ein Signal hoben die Diener die silberglänzenden Hauben von den Tellern und präsentierten die Speise. Anna starrte auf das Gericht, das liebevoll angerichtet worden war. Es roch würzig, fremdartig, nicht schlecht, aber das Aussehen hielt sie vom Essen ab. Es sah aus, als habe man eine Handvoll kleiner Maden auf die Platte geworfen.
Kit warf Anna über den Tisch hinweg einen spöttischen Blick zu und erhob sich. An der Tafel verstummten alle Gespräche. Die Geladenen wirkten nicht weniger erschrocken als Anna beim Anblick des unbekannten Gerichts.
„Werte Gäste“, begann Kit. „Ich habe mir erlaubt, Ihnen eine Speise aus dem Reich der Mitte, meiner zweiten Heimat, kredenzen zu lassen.“
Er ließ sich auf seinen Stuhl sinken und führte die Gabel demonstrativ zum Mund.
Der stummen Herausforderung in seinen Augen konnte Anna nicht widerstehen. Sie überwand ihren Ekel und probierte vorsichtig. Es schmeckte eindeutig nicht nach Fleisch. Sie kostete einen weiteren Bissen.
Die weißen Körnchen waren weich.Fast wie gekochte Getreidekörner, überlegte Anna. Es mundete. Sie benutzte die Serviette und trank einen Schluck. Über den Rand ihres Glases hinweg warf sie Christopher einen triumphierenden Blick zu.
Am Ende des Ganges hatten Anna, Christopher und Mr. Peacock als Einzige ihre Portion vertilgt.
„Köstlich, vielen Dank für dieses deliziöse Gericht. Habe in Louisiana etwas Ähnliches gegessen. Reis, nicht wahr?“
Christopher nickte lächelnd.
Long Tian kam herein und steuerte Anna an. Als er ihren leeren Teller sah, strahlte er.
„Ahhhh, schmecken gut? Ja! Ja?“ Der kleine Mann verbeugte sich vor Anna und sah zu Christopher.
Christopher redete mit ihm in dieser eigenartig singenden Sprache, woraufhin der Diener sich verneigte und erneut an Anna wandte.
„Dame essen, machen stark für viel Platzhalter!“
Anna hatte Mühe ein Kichern zu unterdrücken.
„Stammhalter, Long Tian, du meinst Stammhalter!“ verbesserte Christopher den Chinesen.
Das Dinner war beendet. Einige der Herren hatten sich für Brandy und Zigarren in den Herrensalon zurückgezogen, während ein Teil der Damen in einem der Salons Tee und Kaffee tranken.
Anna lief den Gang zurück zu den Ladys, als eine Hand sie packte und in eine lauschige Nische zog. Sie wollte sich wehren, doch dann erkannte sie Lucas.
„Lucas, was macht Ihr denn?“, schalt sie ihn. Sie versuchte halbherzig, ihn von sich zu schieben.
Er schien ihre Zweifel zu spüren, gab aber nicht nach. Lucas war breiter und muskulöser als Kit. Sein Körper strahlte Hitze aus, und er roch nach Tabak und Brandy.
„Anna, ich liebe dich!“ Seine Augen glänzten. „Ich verehre dich, seit ich dich das erste Mal sah!“
In ihrer Magengrube tanzten Nervosität und Neugier Ringelreihen. Sie sollte nicht in der Lage sein, so überlegt zu denken, doch sie wusste, dass dies die Gelegenheit war, ihre Gefühle für Christopher zu ergründen. Wenn die Berührung eines anderen Mannes sie ebenso in Aufruhr versetzen konnte, war dies der Beweis, dass sie weder Liebe noch tiefere Zuneigung für Christopher empfand.
Also ergab sie sich Lucas’ Armen und ließ zu, dass seine großen Hände über ihren Rücken glitten und an ihrer Taille liegen blieben.
„Ich werde dich jetzt küssen, Anna“, verkündete Lucas und zog sie näher an sich heran. Sie konnte die Muskeln unter seinem Hemd fühlen, und als er seinen Unterleib an sie presste, bemerkte sie die mächtige Schwellung in seiner Hose. Ein Zittern überlief Anna, und sie fühlte Erregung in sich aufsteigen.
Sie sank gegen ihn. „Sei zärtlich, Lucas!“ flüsterte Anna rau.
Christopher stand am Kopf der Treppe, als er sah, wie Lucas Anna in die Nische zog. Da war nichts Gewalttätiges an der Situation, und auch Anna wehrte
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