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Tigerlilie - Paul, I: Tigerlilie

Tigerlilie - Paul, I: Tigerlilie

Titel: Tigerlilie - Paul, I: Tigerlilie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivy Paul
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tosenden Sturm in ihrem Innern und hatte Angst, nie wieder Frieden zu finden.
     
    „Miss Anna?“
    Anna saß im Morgensalon und stickte. Den ganzen Morgen schon trudelten Zusagen der geladenen Gäste ein. Sie machte sich nicht die Mühe aufzublicken.
    „Leg das Schreiben zu den anderen, Caítlín!“
    „Es ist ein Brief von Miss Jane.“
    Anna legte ihre Arbeit beiseite und nahm das Schreiben erwartungsvoll entgegen. Neugierig schlitzte sie das Siegel auf.
    Liebste Freundin, … auf jeden Fall hat mich dein Problem zu einem Roman inspiriert …
    Seufzend räumte Anna den Brief weg. Jetzt verewigten schon Autorinnen ihre Seelennöte in Geschichten! Ihr einziger Trost war, dass Christopher ihr weiterhin aus dem Weg ging.
    Das gab ihr Zeit, sich über ihre Gefühle klar zu werden. Und je mehr sie nachdachte, um so verwirrter wurde sie. Was empfand Christopher für sie? Und was fühlte sie?
    Anna kam zu keinem Ergebnis. Sie schwankte zwischen Zorn, Angst und Begehren, in das sich immer wieder zärtliche Gedanken mischten.
    Er hatte gesagt, er liebe sie. Schon zweimal. Und Anna wusste nicht, ob sie nur pure Lust für ihn empfand. Es jagte ihr Angst ein. Was geschähe, wenn es Liebe war? Wenn sie über dieses Vertragsjahr zusammenblieben? Sollte sie auf ewig in der Furcht leben, eines Tages könnte jemand herausfinden, dass Christopher und sie nicht verheiratet waren?
    Den Brief in der Hand verließ sie den Morgensalon und wandte sich nach oben, als sie ein leises Schluchzen vernahm.
    Die Verursacherin unterdrückte die Geräusche dem Anschein nach, indem sie in ein Stück Stoff weinte. Anna zögerte einen Moment, schob den Brief in ihre Rocktasche und ging dem Weinen unter der Treppe nach.
    Dort, auf den Boden einer Nische gekauert, befand sich Bao. Die Knie angezogen, das Gesicht in die Ärmel vergraben, schluchzte sie, dass ihr schmaler Körper bebte.
    Anna sank in die Hocke und berührte Baos Arm sacht.
    „Bao, meine Liebe, was bedrückt dich?“
    Die Chinesin hob erschrocken ihren Kopf. Ihre riesigen Augen ähnelten Kaminschächten, tief, schwarz und leer.
    „Warum weinst du?“ Anna zwang sich, langsam und deutlich zu sprechen, damit die Frau sie auch verstand.
    „Herz voller Kummer“, entgegnete Bao. Die Tränenspuren in ihrem Gesicht glänzten. „Wünsche in Schanghai zu sein. Alles fremd hier.“
    Anna streichelte Baos Arm. „Es tut mir leid, Bao!“ Mitgefühl stieg in Anna auf. Wie mochte es sein, an einen Ort zu geraten, der so fremdartig war?
    „Ist es dir kein Trost, hier in England frei zu sein?“
    „Ich frei in Schanghai auch!“, widersprach Bao.
    Verwirrt musterte Anna sie. „Du erzähltest mir einmal, du seist laoyes Sklavin?“
    „Bao frei wie Vogel durch laoye . Laoye zahlen guten Lohn!“ Ihre Stimmung wandelte sich. Plötzlich schien sie empört. Bao stand auf, und Anna tat es ihr gleich. „Drysdale- laoye rächen Baos Schmach!“ Sie deutete auf ihre entstellte Gesichtshälfte.
    Anna schluckte. All die Wochen hatte sie die Befürchtungen verdrängt, Christopher sei der Verursacher von Baos Entstellung. Anna kam sich dumm vor. Wie konnte sie nur einen Moment lang glauben, Christopher täte einer Frau Derartiges an?
    Bao funkelte Anna an, und Anna wusste, dass Bao Christopher mit ihrem Leben verteidigen würde. Sogar vor ihr.
    Sie spürte die Anwesenheit eines Dritten hinter sich und drehte sich um. Long Tian war wie ein Geist aufgetaucht und redete auf Bao ein. Bao verbeugte sich vor Anna und verschwand im Küchentrakt.
    Long Tians Haar war wie immer zu einem festen Zopf geflochten, und auf dem Kopf saß eine runde Kappe, die die gleiche Farbe wie seine hochgeschlossene chinesische Jacke hatte.
    „Bao sagen Wahrheit, taitai . Laoye kaufen Bao von Menschenhändler.“ Long Tian schüttelte den Kopf. „Böser Mann, schlimm, schlimm! Haben zerstört Baos Gesicht, weil mit Kaufpreis unzufrieden.“
    Anna fröstelte.
    Long Tian fixierte Anna. „ Laoye suchen Mann und töten. Laoye beschützen Frauen. Immer.“
     

justify
    Kapitel 9
     
    Was man haben will, soll man erst einmal laufen lassen.
     Aus China
     
    Caítlín zupfte die Falten an Annas Robe zurecht, kniff ihr in die Wangen und musterte sie abschließend mit Wohlwollen.
    „Miss Anna, Ihr seht hinreißend aus!“
    „Eine Aussage, mit der ich absolut konform gehe!“, erklärte Christopher.
    Anna blickte erschrocken hoch und sah ihn in der Tür stehen.
    Er trug einen schwarzen Frack, ein weißes Hemd und darüber eine grüne

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