Tigerlilie - Paul, I: Tigerlilie
Weste im Farbton seiner Augen. Die Pantalons waren hauteng, das Leder seiner auf Hochglanz polierten Schuhe wirkte so weich, dass Anna einen Anflug von Neid verspürte.
„Nun, meine Liebe? Bist du soweit, unsere Gäste zu empfangen?“
Anna nickte stumm.
Sein Anblick löste heftiges Herzklopfen aus, doch zugleich fühlte Anna sich entspannt und ruhig. Sie musste an Long Tians Worte denken. Wieso sollte sie einem Mann nicht vertrauen, der sein gutes Herz so bescheiden unter der Maske eines Schwerenöters und Schurken verbarg? Sie ergriff seinen Arm und ignorierte das Kribbeln ihrer Haut an den Stellen, an denen Christopher sie berührte.
Christopher stupste sie an und deutete mit den Augen auf einen wohlbeleibten Herrn mit Backenbart, der soeben eine lebhafte Diskussion mit einem anderen männlichen Gast führte.
„Das ist Mr. Peacock.“
Anna nickte. „Dann lass uns ihn begrüßen.“
Als sie an ihn herantraten, blickte der Mann auf. „Lord Munthorpe!“
„Mr. Peacock, ich möchte Euch meine Frau vorstellen, Lady Munthorpe.“
Der Amerikaner nahm Annas Hand mit festem Griff und gab ihr einen Handkuss. „Welch eine Freude, Euch kennenzulernen. Euer werter Gemahl beschrieb Euch in solch glühenden Farben, dass ich Euch für eine Erfindung seinerseits hielt!“
Anna nickte lächelnd. „Wie Ihr seht, Mr. Peacock, bin ich sehr wohl echt. Nur fürchte ich, dass Lord Munthorpe zu Übertreibungen neigt.“
Mr. Peacock lachte schallend und wandte sich an Kit. „Mein Lieber, Ihr habt mir verschwiegen, wie eloquent Eure Gattin ist.“
Anna lächelte. „Wenn die Herren mich entschuldigen würden? Ich muss noch etwas erledigen. Mr. Peacock, es war mir ein Vergnügen, Euch kennenzulernen.“
Auf dem Weg aus dem Salon begrüßte Anna einige neu angekommene Gäste und entdeckte zu ihrer Freude auch Lucas St. Clare.
Er bemerkte sie fast im selben Moment und kam auf sie zu.
„Lady Munthorpe, Ihr seid eine Augenweide!“ Er strahlte sie aus seinen grauen Augen an und küsste ihre Hand.
„Und Ihr, Mylord, seid ein Charmeur.“
„Aber ehrlich!“, lachte er.
Long Tian trat an sie heran. „Madam Mazaroff ist soweit!“
Anna nickte und gab die Nachricht an die Gäste weiter, die ihr und Lord Lucas in das Musikzimmer folgten.
„Ist es erlaubt, dass ich mich neben Euch setze, Anna?“ wisperte Lucas’ Stimme direkt an ihrem Ohr. Sein Atem streifte ihre Wange.
Sie sah sich kurz um, konnte Christopher jedoch nirgendwo entdecken.
„Natürlich, Lord Lucas.“
Sie ließen sich in der ersten Reihe nieder, und Annas Blick kontrollierte noch einmal, ob die Dienstboten das Musikzimmer auch so hergerichtet hatten, wie von ihr gewünscht. Die Palmen standen im Hintergrund, und das weiße Lilienbouquet auf dem schwarz lackierten Flügel wirkte edel, so wie Anna es gehofft hatte. Dazu die unzähligen Kandelaber, die den Raum in romantisches Licht tauchten.
Ninotschka Mazaroff, Londons gefeierte Opernsängerin, trat an das Pianoforte, an dem der Pianist bereits auf seinen Einsatz wartete. Die Russin trug ein blutrotes Abendkleid und einen Turban, der ihr ein dramatisches Auftreten gab.
„Ich singe als Erstes ein sehr beliebtes Stück für Sie, meine verehrten Damen und Herren: Plaisir d’Amour von Jean Paul Egide Martini.“ Sie nickte dem Pianisten zu.
„ Die Freude der Liebe dauert kaum einen Moment. Der Liebeskummer besteht ein Leben lang “, übersetzte Lucas die Anfangszeilen des Liedes. Er musterte Anna forschend.
Ihr Herz pochte aufgeregt. Sie zwang sich, ihren Blick auf die Sängerin geheftet zu halten.
Auf einmal spürte sie, wie Lucas im Schutz der Stoffbahnen ihres Rockes ihr Knie streichelte. Anna erstarrte, ließ es geschehen und entzog ihm dann doch ihr Bein. Sie straffte sich und lauschte der Mazaroff mit aller Aufmerksamkeit, derer sie fähig war, bis sie brennende Blicke auf sich fühlte.
Verwirrt sah sie sich um und entdeckte Kit ein paar Reihen hinter ihr. Er saß neben Victor Tilney und Charles Peacock und fixierte sie.
Anna runzelte die Stirn, und Christopher begegnete ihrem Blick mit hochgezogenen Augenbrauen. Sie hob die Schultern und wandte sich ab.
Unmut regte sich in ihr. Christopher behagte ihre Gesellschaft nicht. Als ob er irgendwelche Ansprüche erheben durfte!
Die Freude an der Darbietung verflog, und sie war erleichtert, als die Mazaroff ihren Vortrag beendete und die Gäste in den Speisesaal gingen. Christopher tauchte neben Anna auf und nahm ihr gegenüber an der
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