Tigermilch
Nachhinein wie ein Gedicht erscheint. Sie hat nie gesagt, dass es ein fröhliches Gedicht sein soll, einfach nur ein Gedicht.
Der Kindersitztyp schließt das Zimmer auf, stellt seine schwarze Tasche neben den Schreibtisch am Fenster und macht die Jalousien runter. Unterm Tisch ist ein kleiner Kühlschrank, den macht der im Rollstuhl auf.
Wollt ihr mir mal aufs Bett helfen, sagt er, den Schoß voller Schnäpse, die Schnäpse purzeln wie Murmeln in die weiße Bettwäsche, als wir ihn aufs Bett fallen lassen. Er zieht mich zu sich und drückt an meinen Brüsten rum, er zieht mir das T-Shirt über den Kopf, um uns herum rascheln die Laken, sie sind steif vor lauter Sauberkeit, den BH mit den kleinen Schleifen, den Jameelah mir zum Geburtstag geschenkt hat, kriegt er aber nicht auf.
Der Kindersitztyp schaltet die Glotze ein, im Ersten läuft Terra X, er zappt weiter, verdammt, gibt es denn hier keinen Musikkanal, sagt er, aber auf VIVA läuft Musik.
So, jetzt tanzt ihr erst mal schön für uns, sagt der Kindersitztyp, ihr tanzt doch so gern, lacht er, zieht sich die Hose aus und macht sich ein Bier auf.
Genau, ausziehen, sagt der im Rollstuhl und grinst blöde vom Bett rüber.
Jameelah lächelt, zieht sich ihr Oberteil aus und fängt an, im Rhythmus der Musik mit den Hüften zu kreisen. Ich habe noch nie einen Striptease gemacht, aber Rainer sagt immer, einmal ist immer das erste Mal, also strippe ich, das heißt, ich tanze, und währenddessen mache ich mir den BH auf und werfe ihn aufs Bett, und irgendwann ziehe ich meine Unterhose aus, genau das Gleiche, aufs Bett damit, ich mache es einfach so, wie ich mir vorstelle, dass man es macht. Meine Hände, Arme, Knie, alles bewegt sich, meine nackten Füße drehen sich in den Teppichboden hinein, bis sie von der Reibung ganz heiß werden.
Keep cool, flüstert Jameelah und legt mir die Hände auf die Schultern, tanz einfach weiter.
Früher, als Jessi noch nicht da war, habe ich oft zu Mamas Lieblingsmusik im Wohnzimmer getanzt. Manchmal durfte ich dazu Mamas roten Lederrock anziehen, sie hat mir die Haare steif gesprayt und mein Gesicht geschminkt, dann sind wir mit dem Auto zu Mamas Freundinnen gefahren, wie zwei Staubsaugervertreter haben wir alle ihre Freundinnen abgeklappert, und ich habe 99 Luftballons vor ihnen gesungen und Einmal ist keinmal und Tanz auf dem Vulkan . Die wird mal Sängerin, haben sie zu Mama gesagt und Tränen gelacht, pass mal auf, die kommt später ins Fernsehen, aber ich wollte nur singen, ich wollte gar nicht ins Fernsehen, weil Tarik mir erzählt hatte, dass die Sänger im Fernsehen gar nicht wirklich singen, sondern nur zur Musik ihren Mund bewegen, und zu seiner eigenen Musik nur den Mund zu bewegen, ist so wie Scheiße labern.
Wenn ich genau überlege, sind traurige Gedichte eh immer viel besser als fröhliche. Und wer weiß, vielleicht ist in meinem Leben ja auch nur die erste Strophe nicht so fröhlich, keiner hat gesagt, dass das nicht geht, es gibt bestimmt Gedichte, in denen die erste Strophe nicht so fröhlich ist, danach aber schon, es gibt alles auf der Welt, warum sollte da bisher niemand drauf gekommen sein, wer weiß, vielleicht wird mein Leben noch ein echtes Märchen, und Märchen fangen immer katastrophal an und enden gut.
Guck mal, sagt der im Rollstuhl plötzlich und zeigt auf mich, die heult ja.
Alles in Ordnung, fragt Jameelah und schaut mich erschrocken an.
Ja, sage ich leise, ist nur das Lied, das macht mich traurig.
Der Kindersitztyp kippt sich noch einen Kurzen.
Warum heulst du denn, sagt er.
Ich heul doch gar nicht, sage ich, ich hab was im Auge.
Der Kindersitztyp schaut mich durchdringend an.
Bei euch Frauen weiß man nie, ob ihr wirklich heult oder ob ihr nur so tut, als ob.
Jetzt lass sie doch heulen, sagt der im Rollstuhl.
Nee, du gehst dir jetzt mal schön das Gesicht waschen, sagt der Kindersitztyp und schaltet wieder auf Terra X um.
Als ich aus dem Bad komme, sehe ich, dass Jameelah bei dem Kindersitztypen im Bett liegt. Der im Rollstuhl wartet schon auf mich, sein Cowboyhut liegt auf dem Nachttisch, die Hose und sein T-Shirt hat er sich ausgezogen. Mit seiner weißen Haut und den langen blonden Haaren sieht er aus wie eine Albinonacktschnecke. Während ich zu ihm ins Bett krieche, frage ich mich, ob der überhaupt einen hochkriegt. Er drückt mich aufs Bett und fängt an, mich überall abzulecken, voll kalt wird mir an den Stellen. Als er mich mal kurz loslässt, suche ich in Jameelahs Rucksack,
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