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Tigermilch

Tigermilch

Titel: Tigermilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie de Velasco
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der zwischen den beiden Betten liegt, ein Gummi, ich erwische ein rotes und stecke es mir mit dem Zipfel nach innen in den Mund. Der im Rollstuhl liegt schon bereit, sein Ding hat vom friendly fire nichts abbekommen, sehe ich, also stülpe ich das Gummi über. Der im Rollstuhl stöhnt. Im Hintergrund läuft immer noch Terra X, irgendwas über das ewige Eis. Ein Eisbär gräbt sich im Winter nicht ein, sondern legt sich auf einen Eisberg und lässt sich vom Schnee einwehen, bis er ganz bedeckt ist, dann bekommt er seine Jungen, sagt der Mann im Fernsehen.
    Eigentlich ist es gut, dass der im Rollstuhl keine Beine mehr hat, dann kann er zumindest nicht oben liegen, überhaupt kann er sich eigentlich so gut wie gar nicht bewegen, und das finde ich gut. Ich mache die Augen zu und stelle mir vor, jemand Nettes sitzt neben mir an der Bettkante und sagt, mach einfach, du weißt doch, wie es geht, ist alles nicht so schlimm, ist wie üben, an Fröschen oder Toten, schau mal, der ist ja kein echter Mann, das ist immer noch Übung, denke ich, das ist immer noch irgendwie Übung. Ich mache es langsam, damit es nicht wehtut, aber irgendwie tut es gar nicht weh, auch, wenn ich es schneller mache, fühlt sich alles nur etwas eingequetscht an, kann aber auch daran liegen, dass ich ziemlich voll bin. Ich bewege mich hin und her, der Typ ruckelt, so gut er kann, mit seinem Oberkörper mit, und zusammen fühlt sich das an, wie als Mama mich früher im Kaufland auf dieses Pferd gelassen hat, auf dem man für 50 Cent eine Minute reiten durfte, aber ob es sich wie echtes Reiten anfühlt, weiß ich nicht, ich bin ja noch nie geritten, und vielleicht denke ich das ja auch nur, weil alle immer vom Reiten sprechen, wenn sie vom Bumsen sprechen, Rainer zumindest, und Rainer ist wie alle.
    Ich nehme den Cowboyhut vom Nachttisch und setze ihn mir auf. Der im Rollstuhl hat die Augen zu, er stöhnt, im Hintergrund läuft immer noch Terra X. Es geht immer noch um den Nordpol, und da fällt mir ein, dass ich mit Papa früher manchmal Terra X geschaut habe, da gab es mal eine Urwaldfolge, eingeborene Jungs, ungefähr so alt wie Jameelah und ich, mussten sich in einer Reihe aufstellen. Sie haben sich die Hände vor die Eier gehalten wie beim Fußball, wie wenn es einen Freistoß gibt, nur waren sie alle nackt, und statt vor einem Tor standen sie vor einem kleinen Zelt. Zwischendurch kam immer ein heulender Junge aus dem Zelt raus, immer hat er am Schwanz geblutet.
    Der im Rollstuhl stöhnt wieder.
    Es ging nicht um Fußball, sondern ums Erwachsenwerden, das hat zumindest der Mann im Fernsehen gesagt. Man hat sehen können, wie viel Schiss die Jungs hatten, aber der Mann im Fernsehen hat gesagt, dass die Jungs die ganze Kindheit lang auf diesen Tag warten, weil sie danach endlich in die Erwachsenenwelt aufgenommen werden, und dass sie deswegen nicht ängstlich sind, sondern aufgeregt und stolz. Ich bin nicht ängstlich, nicht aufgeregt und auch nicht stolz, nur wenn ich die Augen zumache, dann sehe ich vor mir eine lila Wendeltreppe. Muss nachher mal Jameelah fragen, was das bedeutet, denke ich, die kann das gut, Träume deuten. Der im Rollstuhl stöhnt schon wieder, aber dann hört er zum Glück endlich auf und lässt seinen Kopf wie tot aufs Kissen fallen. Ich mache mich langsam los, meine Schenkel tun etwas weh, wie nach dem Sport. Kurz liege ich einfach so da neben dem Typen, der leise zu schnarchen anfängt, da muss ich an Nico denken, was der wohl gerade macht, frage ich mich, wahrscheinlich arbeiten, irgendwo schwarz was anstreichen, in einem Hotel oder was weiß ich. An Sonntagen streicht Nico meist irgendwo schwarz was an, weil er von seiner Ausbildungskohle nicht leben kann.
    Ich schaue rüber zum anderen Bett, da sitzt Jameelah in ihrem Spaghettitop auf der Bettkante und raucht. Sie schaut mich nicht an, sondern in Richtung Fenster. Der Kindersitztyp wirft die Beine aus dem Bett und steht auf. Ich suche, so schnell ich kann, meine Klamotten zusammen, Jameelah drückt die Kippe aus und will gerade ihren Rucksack nehmen, da stellt der Kindersitztyp seinen Fuß auf ihren Pass, der muss beim Gummisuchen aus dem Rucksack gefallen sein.
    Was ist das denn, sagt er und hebt den Reisepass mit den Zehen auf, seine Nägel sind gelb, wie bei der Struck, nur noch viel schlimmer, weil er ein Kerl ist.
    Gib her, sagt Jameelah und versucht, nach dem Pass zu greifen, dabei fällt die Scheckkarte für den Aufenthalt raus. Der Typ schaut sie sich seelenruhig

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