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Tigermilch

Tigermilch

Titel: Tigermilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie de Velasco
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Typ, das Auto gehört meinem Kumpel, der kommt gleich noch.
    Dein Kumpel, sagt Jameelah und beugt sich zu uns rüber, das war aber nicht abgemacht.
    Keine Sorge, sagt der Typ und legt noch mal zwei Fünfziger auf den Tisch, vor dem braucht ihr keine Angst zu haben, der ist nur eine halbe Portion.
    Verstehe ich nicht, sagt Jameelah und steckt das Geld ein.
    Werdet ihr gleich schon sehen, und wie auf Knopfdruck geht die Tür auf, sie geht aber nicht ganz auf, fällt immer wieder zu, so als ob sich da ein Hund durchzwängen will oder so, die kleine Thai-Frau eilt zur Tür, hält sie auf und lächelt, ein Typ im Rollstuhl kommt herein. Ich kann sein Gesicht zuerst nicht erkennen, weil er einen Cowboyhut trägt. Erst als er näher kommt, den Kindersitztypen umarmt und anschließend seinen Hut abnimmt, sehe ich, wie fertig er aussieht. Rainer würde sagen, er ist vom Leben gezeichnet. Er ist zwar jünger als der Kindersitztyp, aber alles an ihm sieht alt und fertig aus, seine dünnen blonden Haare, sein eingefallenes Rauchergesicht. Das Schlimmste aber sind die Beine, er hat keine Beine mehr, das eine ist komplett ab und das andere geht nur bis zum Knie.
    Das ist mein Kumpel, bei dem setzt du dich jetzt mal auf den Schoß, der hat nämlich heute Geburtstag, sagt der Kindersitztyp und drückt mich auf den Rollstuhl.
    Hoppla, sagt der im Rollstuhl und grinst mich an, als ich auf seinem einen Bein lande, da ist ja kein Schoß, auf den ich mich setzen kann, kurz hab ich Angst, dass dem das wehtut. Er riecht nach Alkohol, hat bestimmt vorher ein paar Schnäpse gekippt, bevor er hierhergerollt ist. Der Kindersitztyp reicht uns unsere Gläser rüber, und wir singen erst mal alle Happy Birthday. Danach trinke ich mit dem im Rollstuhl Brüderschaft, der findet das wahnsinnig lustig. Als ich den Arm um ihn lege, fasst er mir auf den Oberschenkel, nur bleibt er ständig mit seinen Fingernägeln in meinen Strümpfen hängen, das nervt, also nehme ich seine Hände und küsse ihn. Der Kindersitztyp und Jameelah knutschen auch, er hat seine Hände sogar unter ihrem Top.
    Lass mich los, kreischt Jameelah und versucht sich lachend aus seinen Armen zu winden, ich will tanzen.
    Ich auch, rufe ich.
    Wir laufen auf die kleine Tanzfläche.
    Geht die Musik auch lauter, frage ich die Frau hinter der Theke.
    Die Frau nickt und lächelt, sie dreht sich um und macht am Lautstärkeregler rum, aber ich hab das Gefühl, gar nichts wird lauter.
    Noch lauter, rufe ich.
    Ist schon laut, sagt die Frau, aber ich merke davon nichts, vielleicht hat das was mit gestern zu tun, das mit der Lautstärke, ich glaube, wenn so was Krosses passiert, dann ist es so, wie wenn man auf einem Konzert war und einem am nächsten Tag die Ohren komplett schallern. Manchmal muss die Musik aber laut sein, auch wenn einem noch tagelang die Ohren schallern, manchmal kann die Musik gar nicht laut genug sein, damit man das Leben nicht hört, und heute, da will ich das Leben nicht hören.
    Die Typen schauen grinsend zu uns rüber, während wir tanzen. Das ist immer so, wenn man mitgeht auf der Kurfürsten, das ist das Gute daran. Man merkt, man hat was, was die nicht haben, man tut voll viele Dinge zum ersten Mal, man hat ein echtes Leben, in dem man richtig drinsteckt. Ich glaube, Erwachsene können gar nicht richtig leben, sie sehen alles nur von außen, wie bei einem Aquarium. Aber wenn sie ihre Hände auf unsere Strümpfe legen und mit uns knutschen, dann fängt in ihnen was zu fließen an, dann treiben sie selbst für kurze Zeit im Wasser, und manchmal fangen sie sogar an zu leuchten, wie Neonfische, das sind wir, die sie zum Leuchten bringen, wir leuchten, und wenn wir jemanden anfassen, leuchtet der mit, weil wir für zwei leuchten können.
    Mein Körper fühlt sich taub an, ich wette, das kommt vom Tanzen, ich wette, ich könnte jetzt ein ganzes Pferd hochheben, so stark fühle ich mich, ich wette, das kommt davon, weil wir einen Mord gesehen haben, ich wette, das macht stark, wenn man den Tod gesehen hat, wir sind stark, wir sind wie echte Nutten, wir haben einen echten Mord gesehen, wir leuchten.
    Als das Lied vorbei ist, klatschen die Typen, wir verbeugen uns aus Spaß, und diesmal setzt Jameelah sich auf den Schoß von dem im Rollstuhl.
    Spürst du da gar nichts, fragt sie und piekst ihm mit dem Zeigefinger in sein halbes Bein.
    Nein, sagt der im Rollstuhl.
    Wie ist das denn passiert?
    In Afghanistan, sagt er.
    Echt, sage ich, bist du ein Soldat?
    War ich.
    Wie ist das

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