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Tijuana Blues

Tijuana Blues

Titel: Tijuana Blues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Trujillo Muñoz
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Hotel und dann ein weiteres Cabaret und eine weitere Bar … Wenn man rauskommt, will man nichts mehr sehen, und wenn man nicht rauskommt, kann man nichts anderes sehen … das Leben ist teuer, und das Geld zirkuliert unvorstellbar schnell.«
    Die Stewardess fragte ihn, ob er sich wohlfühle, ob sie ihm etwas aus der Bar anbieten könne. Morgado war dankbar für die Aufmerksamkeit, aber als er an den Kater von vor ein paar Tagen dachte, bestellte er lediglich eine Flasche Mineralwasser. Wie schnell ich alt werde. Nicht mehr lange, und ich tausche den Tequila gegen Pfefferminztee ein – ein makabrer Gedanke.
    »Stewardess!«, rief er.
    Die junge Frau kam wieder zu seinem Platz. »Haben Sie Ihre Meinung geändert?«, fragte sie mit der Flugerfahrung vieler Jahre.
    Morgado nickte, sichtlich aufgemuntert. »Einen Wodka Tonic«, bestellte er.
    Als er ihn bekommen hatte, las er weiter in Jordáns Buch. Dort stand, Tijuana sei 1951 eine kleine Stadt mit sechzigtausend Einwohnern gewesen, die Bevölkerung habe sich in weniger als einem Jahrzehnt vervierfacht. Für Timothy Keller, so ahnte Morgado, war diese Reise nicht die erste in diese schillernde, gewalttätige Stadt gewesen, die so aufregend ist wie keine zweite. Wenn er ein waschechter Kalifornier war, war Tijuana bestimmt sein Spielplatz, sein Lieblingserlebnispark gewesen. Das Gegenteil von Morgados eigener Sichtweise.
    Für ihn war Tijuana eine Brücke, eine Autoschlange, der unvermeidliche Weg Richtung Parque Balboa und Sea World in San Diego. Ein Teil seiner Kindheit. Die Oster- oder Sommerferien. Die bekannten Familienausflüge im klapprigen Plymouth. Ein anderes Klima. Die Meeresbrise. Der Strand. Das Panorama der Isla Coronado. »Sie gehört zu Mexiko«, sagte sein Vater immer, »aber die Gringos haben sie uns abgenommen. Das alte Spiel. Eines Tages wird sie wieder uns gehören. Eines Tages wird die mexikanische Flagge auf ihrem Gipfel wehen, ganz oben.«
    Aber das war San Diego. Tijuana war in seiner Erinnerung ein Flecken mit Gipfeln und sich schlängelnden Straßen. Menschen beim Einkaufen. Viele Secondhand-Läden. Riesige Neonreklamen und schlammige Straßen. Leute, die japanisches Spielzeug, das nicht eine Woche hielt, auf den Lieferwagen des Vaters gepackt hatten und ihre Schnäppchen anpriesen. Das war der tiefste Eindruck, den die Stadt hinterlassen hatte, zu der er jetzt unterwegs war: Alles in ihr war Betrug, man konnte niemandem vertrauen, wenn man vermeiden wollte, bestohlen zu werden. Hier wurde man übers Ohr gehauen.
    »Sehr verehrte Passagiere, auf der rechten Seite können Sie jetzt den Hafen von Mazatlán sehen«, verkündete der Flugkapitän. »Die geschätzte Flugzeit nach Tijuana beträgt etwas weniger als zwei Stunden.«
    Morgado nahm einen Schluck Wodka und widmete sich wieder El otro México. Ich fliege mit neunhundert Stundenkilometern in die Vergangenheit, dachte er. Geschätzte Flugdauer: ein paar Jahrzehnte. Und dann las er: »Tijuana ist eine play-box, ein Schaufenster, ein hot spot. Der Ort, an dem deine verdorbensten Wünsche am besten erfüllt werden.« Das war Jordán. Präzise und überzeugend.
8
     
    »Ist das hier nicht eher eine Arbeit für Archäologen als für einen Detektiv, Herr Rechtsanwalt?«, fragte der junge Mann am Computer. »Hinter alten Verbrechen herzujagen, ist eine Aufgabe für alte Männer, die in jedem Knochen einen Wert entdecken.«
    Morgado dachte nach zwei Tagen fruchtloser Suche im Stadtarchiv von Tijuana, Abteilung Verbrechen, dasselbe. Es war nichts verzeichnet über den Kampf gegen den Drogenhandel an der Grenze in den Fünfzigerjahren.
    »Nur nicht aufgeben«, sagte Morgado und machte ihm Mut wie der Kapitän einer abstiegsgefährdeten Mannschaft. »Sollte etwas herauskommen, geben Sie mir im Hotel Bescheid.«
    Der junge Mann machte nur eine leichte zustimmende Geste mit der Hand und studierte weiter die Daten auf dem Bildschirm: Strafzettel, Unfallberichte, Kautionsformulare, Sterbeurkunden. Nicht ein einziger Hinweis auf die Razzia vom 8. Dezember 1951 und die nachfolgende Schießerei, bei der ein amerikanischer Drogenhändler namens Alan Brod ums Leben kam und nach der sein Komplize Timothy Keller spurlos verschwand.
    Morgado nahm ein Taxi in der Nähe des Rathauses und bat den Fahrer, ihn zu den Büros von Tijuana Metro zu bringen, der Zeitschrift, die sich mit dem Leben und den Wundern in der Metropole befasst, die der von Jordán beschriebenen so glich und doch wieder so verschieden war. Chaos

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