Till Eulenspiegel
tragen könntet.
Drum will ich nur zwölf seiner seltsamen Abenteuer erzählen und, wie sich das gehört, mit dem ersten anfangen.
Dieses erste Abenteuer Eulenspiegels war seine Taufe.
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1. WIE EULENSPIEGEL DREIMAL GETAUFT
WURDE
Es ist traurig, aber wahr. Der arme Junge wurde dreimal getauft! Wer weiß, vielleicht trug das daran schuld, daß er später so ein komischer Vogel wurde. Möglich ist alles. Na ja. Geboren wurde der kleine Eulenspiegel jedenfalls nur einmal. Und zwar zwischen Lüneburg und Braunschweig, in dem Dorf Kneitlingen. Und weil Kneitlingen so klein war, daß es keine Kirche hatte, mußte der Junge in Ambleben getauft werden. Ambleben hatte eine Kirche, und der Pastor hieß Arnolf Pfaffenmeyer. Pastor Pfaffenmeyer machte seine Sache sehr schön. Eulenspiegels Mutter war zwar im Bett geblieben, weil sie krank war. Aber die anderen Frauen, die mit nach Ambleben in die Kirche gekommen waren, fanden die Feierlichkeit großartig, obwohl der kleine Till ziemlich brüllte. Das war seine erste Taufe. Hinterher gingen alle ins Wirtshaus. Erstens, weil Eulenspiegels Vater sie eingeladen hatte, und zweitens, weil sie Durst hatten. So etwas kann vorkommen.
Es gab Freibier. Es wurden Reden gehalten. Und die 8
Hebamme, die das Steckkissen mitsamt dem Baby von Kneitlingen nach Ambleben getragen und hier übers Taufbecken gehalten hatte, hatte den größten Durst und trank am meisten. Als sie nun am späten Nachmittag auf-brachen, um nach Kneitlingen heimzuwandern, hatte die ganze Gesellschaft einen sanften Schwips. Die Hebamme natürlich auch. Und als sie über einen schmalen Brückensteg wegmußten, der keine Geländer hatte, bekam die Hebamme einen Schwindelanfall und purzelte, hast du nicht gesehen, von dem Steg in den Bach hinunter.
Mitsamt dem Steckkissen und dem kleinen Till. Das war seine zweite Taufe. Passiert war den beiden weiter nichts.
Sie sahen nur maßlos dreckig aus. Denn der Bach war, so mitten im Sommer, ziemlich ausgetrocknet und voller 9
Schlamm. Die Hebamme heulte. Eulenspiegels Vater schimpfte. Und der kleine Till schrie wie am Spieße.
Kinder, sah der Junge schmutzig aus! Er wäre fast erstickt.
Als sie in Kneitlingen ankamen, wurde Till sofort in die Badewanne gesteckt und solange mit Wasser begossen, bis er wieder manierlich aussah. Und das war nun sozusagen seine dritte Taufe.
Als Pastor Pfaffenmeyer am nächsten Tage von der Sache erfuhr, schüttelte er sein graues Haupt und sagte:
„Wenn das nur gut geht mit dem Jungen! Dreimal getauft werden, das hält kein Kind aus. Was zuviel ist, ist zuviel.“ Und damit sollte der Pastor Pfaffenmeyer ja nun wirklich recht behalten.
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2. WIE EULENSPIEGEL AUF DEM SEIL TANZTE
Till war schon als Kind ein rechter Lausejunge. Er ärgerte die Kneitlinger, wo er konnte. Sie beschwerten sich jedesmal bei den Eltern, aber meist war dem Bengel nichts nachzuweisen. Und der Vater zog ihm zwar dann die Hosen straff, weil er dachte: „Die Kneitlinger werden schon recht haben, und es kann nichts schaden.“
Doch warum er den Jungen versohlte, wußte er eigentlich nie. Na, das ärgerte dann den kleinen Till, und dann ärgerte er die Kneitlinger wieder, und dann ärgerten sich die Kneitlinger noch mehr, und zum Schluß bekam Till wieder Hiebe. Das wurde dem Vater mit der Zeit zu anstrengend. Er begann zu kränkeln und starb.
Nun zog die Mutter mit dem Jungen aus Kneitlingen fort und in ihr Heimatdorf an der Saale. Till war mittler-weile sechzehn Jahre alt geworden und sollte einen Beruf ergreifen. Aber er dachte nicht im Traum daran. Statt dessen lernte er auf dem Wäscheseil, das auf dem Boden gezogen war, Seiltanzen. Wenn ihn die Mutter dabei erwischte, kletterte er schleunigst aus dem Bodenfenster und setzte sich aufs Dach. Dort wartete er dann, bis sie 11
wieder gut war. Das Bodenfenster ging auf den Fluß hinaus. Und als Till das Seiltanzen einigermaßen konnte, spannte er das Seil vom Boden aus über die Saale hinweg zu dem Bodenfenster eines Hauses, das am anderen Ufer stand. Die Kinder, die das beobachtet hatten, und die Nachbarn, die aus den Fenstern guckten, sperrten Mund und Nase auf, als Till das Seil betrat und langsam darauf balancierte, ohne herunterzufallen.
An beiden Ufern versammelten sich die Leute und blickten in die Luft. Sie waren fast so gespannt wie das Seil. Schließlich wurde auch Eulenspiegels Mutter aufmerksam. Sie kletterte, so schnell es ging, zum Boden hinauf, schaute aus dem Fenster und schlug die Hände
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