Tim Burton: Der melancholische Magier. Mit einem Vorwort von Johnny Depp (German Edition)
ich später noch.
Mir gegenüber saß ein blasser, zerbrechlich wirkender Mann mit traurigen Augen und Haaren, die aussahen, als seien sie nicht nur von der letzten Nacht zerwühlt. Ein Kamm mit Beinen hätte um die Haarpracht dieses Typen einen weiten Bogen gemacht. Hier eine Welle, da eine einzelne Strähne, und der Rest stand in alle Richtungen ab. »Mann, schlaf dich erst mal aus!«, waren die ersten Worte, die mir durch den Kopf gingen, aber das konnte ich natürlich nicht sagen. Und dann traf mich der Blitz der Erkenntnis. Seine Hände – wie er damit beinahe unkontrolliert herumwedelte und nervös auf die Tischplatte trommelte, seine gestelzte Art zu sprechen (eine Eigenschaft, die wir teilen), seine weit aufgerissenen, neugierig glänzenden Augen, die schon viel gesehen haben und trotzdem alles begierig in sich aufsaugen. Dieser hypersensible Verrückte ist Edward mit den Scherenhänden!
Nach drei, vier Tassen Kaffee und einem holprigen Gespräch, bei dem wir uns ständig gegenseitig in die unvollendeten Sätze fielen und uns trotzdem irgendwie verstanden, gingen wir mit einem Händedruck und einem »Nett, dich kennengelernt zu haben« auseinander. Ich verließ das Café mit einem Koffein-High und kaute auf meinem Kaffeelöffel herum wie ein tollwütiger Hund. Nach dem Treffen fühlte ich mich nur noch schlechter, weil ich zwischen uns eine echte Verbindung gespürt hatte. Wann kann man sich schon mit jemandem in solcher Ausführlichkeit über die perverse Schönheit von Milchkännchen in Kuhform, die Faszinationskraft künstlicher Weintrauben und die Komplexität eines Elvis-Gemäldes unterhalten? Ich war mir sicher,dass wir gut zusammenarbeiten würden und dass ich die Figur Edward mit den Scherenhänden so umsetzen könnte, wie er sie sich als Künstler vorstellte, wenn ich Gelegenheit dazu erhielt. Die Aussichten darauf schienen jedoch eher gering zu sein. Bekanntere Leute als ich waren nicht nur für die Rolle im Gespräch, sondern kämpften darum wie die Besessenen. Bisher hatte mir nur ein einziger Regisseur eine Chance gegeben – John Waters, ein großartiger, unabhängiger Filmemacher, dem Tim und ich große Achtung und Bewunderung entgegenbrachten. In Cry-Baby durfte ich unter seiner Regie eine Parodie auf die Rolle spielen, mit der ich mir bis dahin einen Namen gemacht hatte. Aber würde Tim etwas in mir sehen, das ihn davon überzeugen würde, ein solches Risiko einzugehen? Ich hoffte es sehr.
Wochenlang wartete ich, ohne etwas von ihm zu hören. Trotzdem bereitete ich mich weiter auf die Rolle vor. Es war nicht mehr nur so, dass ich es machen wollte, ich musste einfach! Nicht aus Gründen des Ehrgeizes, der Geldgier oder Karrieregeilheit, sondern weil mich die Geschichte komplett gefangen genommen und nicht mehr losgelassen hatte. Was sollte ich machen? Als ich mich schon beinahe damit abgefunden hatte, für immer ein lausiger Fernsehschauspieler zu bleiben, klingelte das Telefon.
Ich nahm ab. »Hallo?«
»Johnny … du bist Edward mit den Scherenhänden«, sagte eine Stimme.
»Was?«, entfuhr es mir.
»Du bist Edward mit den Scherenhänden.«
Ich legte den Hörer beiseite und sprach die Worte leise vor mich hin. Und dann erzählte ich es jedem, den ich kannte. Ich konnte es einfach nicht glauben. Er wollte das Risiko tatsächlich eingehen und mich für diese Rolle engagieren. Den Wünschen, Hoffnungen und Träumen des Studios, dass sich ein großer Star und Publikumsmagnet für den Film finden würde, hatte er eine Absage erteilt und stattdessen mich gewählt. Ich wurde augenblicklich religiös, überzeugt davon, dass hier ein göttlicher Eingriff in mein Leben stattgefunden hatte. Diese Rolle war für mich nicht nur eine Karriereentscheidung. Sie bedeutete Freiheit. Die Freiheit, kreativ zu sein, zu experimentieren, zu lernen und mit mir selbst ins Reine zu kommen. Dieser merkwürdige, brillante junge Mann, der während seiner Jugend in der Suppenschüssel von Burbank seltsame Bilder gemalt hatte und sich auch immer ein bisschen wie ein Außenseiter fühlte, hatte mich aus der konsumistischen Fernsehwelt gerettet. Ich kam mir vor wie Nelson Mandela. Wiederauferstanden nach meiner stumpfsinnigen Zeit in »Hollyweird«, während der ich die Kontrolle über mein Leben weitgehend abgegeben hatte.
Tim Burton, Johnny Depp und Sarah Jessica Parker am Set von ED WOOD
Ein Großteil des Erfolgs, der mir später vergönnt sein sollte, ging auf dieses eine seltsame, inspirierende Gespräch mit
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