Timbuktu
Bones war viel zu krank, um das zu bemerken. Die anderen Hunde waren aufgewacht und bellten in Erwartung des angebrochenen Tages, doch Mr. Bones konnte nur matt daliegen und darüber nachgrübeln, was für einen Unfug sein Körper mit ihm trieb. Er wußte, er war krank, aber er hatte keinen Schimmer, wie krank genau und worin seine Krankheit bestand. Er konnte daran sterben, sagte er sich, aber er konnte sich auch erholen und in ein paar Tagen wieder putzmunter sein. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er lieber noch nicht sterben wollen. Ungeachtet dessen, was letzte Nacht im Traum geschehen war, wollte er weiterleben. Er war entsetzt über Willys unerwartete Grausamkeit, und er fühlte sich elend und unsagbar einsam, aber das hieß noch lange nicht, daß er nicht gewillt war, seinem Herrchen zu verzeihen. Man wandte sich von niemandem ab, nur weil er einen mal hängenließ - nicht nach einer lebenslangen Freundschaft, und schon gar nicht, wenn es mildernde Umstände gab. Willy war tot, und wer weiß, vielleicht wurden die Toten im Tod verbitterter und verhärmter? Vielleicht war es ja auch gar nicht Willy gewesen. Der Mann im Traum konnte genausogut ein Schwindler gewesen sein, ein Dämon, der in Willys sterbliche Hülle geschlüpft und aus Timbuktu hergeschickt worden war, um Mr. Bones gegen sein Herrchen aufzuhetzen. Und selbst wenn es Willy gewesen war und er seine Bemerkungen übermäßig verletzend und bösartig formuliert hatte, war Mr. Bones ehrlich genug zuzugeben, daß sie ein Körnchen Wahrheit enthielten. Er hatte sich in letzter Zeit zu sehr bemitleidet, hatte zu viele kostbare Stunden damit verplempert, über winzigste Kränkungen und Ungerechtigkeiten zu jammern, und ein solches Verhalten stand einem Hund seines Formats nicht an. Es gab vieles, für das er dankbar sein konnte, und vieles, für das sich zu leben lohnte. Willy hatte ihm zwar gesagt, er solle nie wieder an ihn denken, aber Mr. Bones konnte nicht anders. Er befand sich in diesem aufgewühlten Zustand der Verwirrung, den hohes Fieber mit sich bringt, und konnte die Gedanken, die ihm durch den Kopf schössen, genauso wenig kontrollieren, wie er hätte aufstehen und die Käfigtür öffnen können. Er konnte nichts daran ändern, daß Willy seine Gedanken beherrschte. Sein Herrchen würde sich einfach die Ohren zuhalten und warten müssen, bis es vorbei war. Doch zumindest jammerte Mr. Bones nicht mehr. Zumindest versuchte er, brav zu sein.
Kaum eine Minute, nachdem er an die Käfigtür gedacht hatte, kam eine junge Frau vorbei und schob den Riegel auf. Sie hieß Beth, und sie trug einen dicken blauen Nylonparka. Stramme Oberschenkel, Mondgesicht, jungenhafter Pagenschnitt. Mr. Bones kannte sie schon vom Vortag. Sie hatte versucht, ihn zu füttern und ihm zu trinken zu geben, hatte ihm den Kopf getätschelt und gesagt, am nächsten Morgen werde er sich bestimmt besser fühlen. Ein nettes Mädchen, aber von Diagnostik keine Ahnung. Das Erbrochene schien sie zu erschrecken, und sie ging in die Hocke, kroch in den Käfig und schaute genauer hin. »Keine so gute Nacht, hm, Sparky?« sagte sie. »Ich glaube, wir sollten dich mal zu Dad bringen.« Dad war der Mann von gestern, erinnerte sich Mr. Bones, derjenige, der sie über das Gelände geführt hatte. Ein stämmiger Kerl mit buschigen schwarzen Augenbrauen und einer Glatze. Er hieß Pat - Pat Spaulding oder Sprowleen, er konnte sich nicht erinnern. Da war auch noch eine Ehefrau gewesen, die sie auf dem ersten Stück ihres Rundgangs begleitet hatte. Ja, jetzt fiel ihm wieder ein, was an ihr so merkwürdig gewesen war. Sie hieß auch Pat, und Mr. Bones erinnerte sich, daß Alice das lustig gefunden und sogar kurz gelacht hatte, als sie die beiden Namen zusammen hörte, und Dick hatte sie beiseite genommen und ihr gesagt, sie solle sich zusammenreißen. Patrick und Patricia. Kurz Pat und Pat. Es war alles so verwirrend, so furchtbar albern und verwirrend.
Schließlich brachte Beth ihn dazu, aufzustehen und mit ihr zum Haus hinüberzugehen. Unterwegs mußte er sich noch einmal übergeben, aber die kalte Luft, die ihm über den heißen Leib strich, tat ihm gut, und als er erst das Zeug von sich gegeben hatte, ließen die Schmerzen erheblich nach. Ermutigt folgte er ihr ins Haus und nahm dankbar das Angebot an, sich auf den Wohnzimmerteppich zu legen. Beth ging ihren Vater suchen, und Mr. Bones lauschte, schon vor dem Kamin zusammengerollt, der Standuhr im Flur. Er hörte es zehnmal ticken,
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