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Timbuktu

Timbuktu

Titel: Timbuktu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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klar war, wie er hinkommen sollte, verließ er sich doch darauf, daß seine Nase ihm die richtige Richtung zeigen würde. Der Garten der Familie Jones war nur zehn Meilen entfernt, und er rechnete damit, am nächsten, spätestens am übernächsten Tag dort anzukommen. Egal, daß die Familie Jones nicht da war und erst in zwei Wochen wiederkommen würde. Egal, daß das Futter in der Garage eingeschlossen war und er keine Möglichkeit hatte, dort hineinzugelangen. Er war nur ein Hund, und so weit vorausdenken konnte er nicht. Das einzige, was jetzt zählte, war, dort hinzukommen. Wenn er erst da war, würde sich der Rest schon finden.
    Das dachte er jedenfalls. Doch die traurige Wahrheit war, daß er damit falsch lag. Wenn er bei Kräften gewesen wäre, hätte er zweifellos sein Ziel erreicht, doch sein Körper war den Strapazen nicht gewachsen, und all das Springen und Rennen hinterließ bald seine Spuren. Zehn Meilen waren nicht lang, zumal wenn man sie mit den ungeheuren Strecken verglich, die er erst vor dreieinhalb Monaten zurückgelegt hatte, aber er hatte keine Reserven mehr, und auch ein Hund konnte aus schierer Willenskraft allein nur eine gewisse Strecke zurücklegen. Erstaunlicherweise brachte er in diesem geschwächten Zustand fast zwei Meilen hinter sich. Er lief, so weit ihn die Pfoten trugen, und dann sank er ohne jede Vorwarnung zwischen einem Schritt und dem nächsten zu Boden und schlief ein.
    Zum zweitenmal in zwei aufeinanderfolgenden Nächten träumte er von Willy, und wieder war der Traum so ganz anders als seine Vorgänger. Diesmal saßen sie am Strand von La Jolla in Kalifornien, das sie auf ihrer ersten Reise besucht hatten, als er noch nicht ganz ausgewachsen gewesen war. Das lag nun schon Jahre zurück, in der Zeit, als alles noch neu und unvertraut gewesen war und alles, was geschah, zum erstenmal geschah. Es war Nachmittag. Die Sonne strahlte am Himmel, eine leichte Brise wehte, Mr. Bones lag mit dem Kopf auf Willys Schoß und genoß es, wie ihm die Fingerspitzen seines Herrchens über den Kopf strichen. War es wirklich so gewesen? Mr. Bones konnte sich nicht daran erinnern, aber es wirkte ganz lebensecht, und mehr interessierte ihn nicht. Hübsche Mädchen in Badeanzügen, Eiscremepapier und Sonnencremetuben, rote Frisbees, die durch die Luft segelten - das alles sah er, als er im Traum die Augen aufschlug, und er witterte die Fremdheit und Schönheit des Augenblicks, als wüßte ein Teil von ihm bereits, daß er sich jenseits der Grenzen gesicherter Tatsachen befand. Es schien mit einem Schweigen zu beginnen, Schweigen im Sinne von Wortlosigkeit; die Wellen schlugen an den Strand, und der Wind ließ die Fahnen und Sonnenschirme flattern. Dann erklang aus einem Radio irgendwo ein Pop-Song, und eine Frauenstimme sang Be my baby, be my baby, be my baby now. Es war ein sehr schönes Lied, ein schönes, dummes Lied, und es nahm Mr. Bones so gefangen, daß ihm erst gar nicht auffiel, daß Willy mit ihm redete. Als er sich endlich seinem Herrchen zuwandte, hatte er schon ein paar Sätze, vielleicht sogar ganze Abschnitte wichtiger Informationen verpaßt, und er brauchte eine Weile, bis er sich zusammenreimen konnte, wovon Willy eigentlich sprach.
    »Wiedergutmachung«, war das erste, was er verstand, dann »tut mir leid, alter Junge« und »Prüfung«. Als diesen Worten noch »miese Sache« und »Schwindelei« folgte, hatte Mr. Bones schon fast den Faden gefunden. Der teuflische Willy war nur ein Trick gewesen, eine List, um ihn dazu zu verleiten, daß er sein Herz vor der Erinnerung an sein Herrchen verschloß. So weh die Prüfung getan haben mochte, sie war die einzige Möglichkeit gewesen, die Dauerhaftigkeit der Zuneigung des Hundes zu testen. Der Schwindler hatte versucht, ihm den Mut zu nehmen, doch obwohl Mr. Bones zu Tode erschrocken gewesen war, hatte er nach dem Aufwachen nicht gezögert, Willy zu vergeben, die Verleumdungen und falschen Anschuldigungen einfach abzuschütteln und das Vergangene ruhen zu lassen. So hatte er, ohne es zu wissen, die Prüfung bestanden. Der Lohn war dieser Traum, dieser Besuch in einer Welt des trägen, immerwährenden Sommers, die Gelegenheit, sich in einer kalten Winternacht in der Sonne zu räkeln. Doch so angenehm und perfekt gemacht dieser Traum auch wirkte, er war nur ein Vorspiel zu etwas erheblich Wichtigerem.
    »Und was wäre das?« hörte Mr. Bones sich sagen, und plötzlich fiel ihm auf, daß er wieder reden konnte, daß er die Wörter so

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