Time Travel Inc. - Rewind (Die Zeitreise Chroniken) (German Edition)
ich. Indem man unwissend tat, konnte man dann und wann geschickt einem längeren Gespräch ausweichen. Heute schien dieser Versuch allerdings ergebnislos zu bleiben.
»Tatsächlich? Das ist ja merkwürdig. Ich hätte schwören können, dass Sie gerade den essenziellen Teil des Werkes begutachtet haben.«
Da hatte er recht. Die meisten Besucher blieben bei dem flanierenden Pärchen im Vordergrund des Bildes hängen oder diskutierten über die Gebäude im Hintergrund. Tatsächlich war aber der unscheinbare Mann in der Mitte des Bildes interessant. Er trug einen einfachen schwarzen Mantel und eine Melone auf dem Kopf. Ganz im Gegensatz zu dem Mann im Vordergrund, welcher in Abendanzug und Weste gekleidet war. An seinem Arm ging eine junge Frau, ebenfalls gut gekleidet.
»Sehen Sie«, sagte er und deutete mit dem Finger auf den einzelnen Mann mit Melone, »er ist ganz allein. Um ihn herum sind Männer und Frauen. Keiner von ihnen ist alleine auf dem Bild. Nur er geht allein über die Straße.«
Nun sah er mich kurz an. Mir blieb beinahe die Luft weg. Seine Augen. Sie waren wie Feuer. Sie leuchteten. Erst als er fragend den Kopf zur Seite legte, bemerkte ich, dass ich ihn auf höchst unhöfliche Weise anstarrte.
»Ja, das sehe ich«, erwiderte ich scheinbar Stunden zu spät. »Er ist allein. Aber, was glauben Sie, bedeutet das?«
»Nun ja, in erster Linie ist es wohl eine offensichtliche Attacke gegen die konservative Gesinnung der damaligen Mode. Ich meine, er ist schlicht gekleidet, während alle um ihn herum fein gemacht umherlaufen. Der Mann ist nicht in Gesellschaft unterwegs. Er symbolisiert etwas Maskulines, denke ich. Das Paar hier vorne ist sowohl sozial und auch physisch verbunden. Sehen Sie?«, fragte er und machte eine Bewegung mit der Hand. Er hatte schöne Hände. Groß und stark, doch nicht grob oder dreckig. Er konnte sicher sehr zärtlich sein.
»Ja, sie gehen nebeneinander her. Und?«
»Natürlich, doch sie hält sich an ihm fest. Sie tragen beide edle Kleidung, blicken in dieselbe Richtung und berühren sich. Sie stehen für eine gemeinsame Klasse der Gesellschaft. Wohingegen er …«
»Einsam ist«, warf ich ein. Und plötzlich fühlte auch ich mich einsam. Ich war hier in einer fremden Welt. Umgeben von fremden Menschen und ich durfte nur wenig von mir preisgeben. Ich war einfach anders. Und genau wie bei dem Mann im Gemälde konnte man dies zwar nicht auf den ersten Blick erkennen, es aber auch nicht leugnen.
»Ich wollte isoliert sagen«, bemerkte er vorsichtig, »aber einsam ist sicher auch eine passende Umschreibung.«
Mir waren dummerweise Tränen in die Augen gestiegen, darum wandte ich mich von ihm und dem verräterischen Gemälde ab.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte er höflich.
»Ja, natürlich. Es ist nur … Ich glaube, ich bin nur etwas müde. Verzeihen Sie.« Ich machte Anstalten zu gehen, doch er griff nach meinem Arm und hielt mich zurück.
»Warten Sie! So kann ich Sie doch nicht davonlaufen lassen«, sagte er lächelnd. »Vielleicht setzen wir uns einen Augenblick?« Er wies in Richtung einer der Besucherbänke in der Mitte des Raumes und ich folgte ihm bereitwillig.
»Sind Sie ganz alleine hier?«, fragte er vorsichtig.
»Ja, ich dachte, ich gönne mir etwas Kultur. Das Museum ist einfach großartig!«
»Ach, Sie sind nicht von hier? Das hätte ich mir denken können. Sie wirken so …«, er suchte nach dem passenden Wort, »na ja, so anders. Ich kann nicht sagen, was an Ihnen diesen Eindruck erweckt. Es war nur so ein Gefühl.«
»Nun ja, ich komme aus Europa. Wahrscheinlich ist es das«, erwiderte ich trocken.
»Europa? Nun, Europa ist groß. Darf man fragen, woher genau? Nein, warten Sie«, er rückte aufgeregt ein Stück zur Seite, um mich besser betrachten zu können. »Ich werde raten.«
Allmählich fühlte ich mich besser. Auch wenn die Unterhaltung einmal mehr in eine gefährliche Richtung abdriftete, war das unangenehme Gefühl der Isolation auf einmal in weite Ferne gerückt.
»Spanien! Sie kommen aus Spanien, nicht wahr?« Verzückt wartete er auf meine Bestätigung.
»Nein, das ist leider nicht richtig.«
Er setzte eine beleidigte Miene auf und versuchte es erneut. »Gut, dann muss es Frankreich sein. Jawohl. Sie sind Französin.«
»Fast«, erwiderte ich. »Ich habe die letzten Jahre in Frankreich gelebt, ursprünglich stamme ich aber aus Deutschland.«
Eine kurze Pause entstand. Meist verschwieg ich meine deutsche Herkunft. Zwar hatte der
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