Timeline: Eine Reise in die Mitte der Zeit
um seine Tennisschulden zu bezahlen. (König Johann war auch als Johann der Gute bekannt, doch es hieß, worin er auch gut sein mochte, im Tennis war er es auf jeden Fall nicht.)
Marek fragte: »Spielt Ihr oft hier?«
»Übung kräftigt den Körper und schärft den Verstand«, erwiderte der Mönch sofort. »Wir spielen hier in zwei Höfen.«
Während sie durch den Kreuzgang gingen, bemerkte Marek, daß einige der Wettenden grüne Roben mit schwarzem Besatz trugen.
Es waren rauhe, graumelierte Männer, die ein wenig wie Banditen wirkten.
Dann ließen sie den Kreuzgang hinter sich und gingen eine Treppe hoch. Marek sagte zu dem Mönch: »Es hat den Anschein, als hieße der Orden die Männer des Arnaut de Cervole willkommen.«
»Das ist wahr«, sagte der Mönch, »denn sie werden uns die Gunst erweisen, die Mühle an uns zurückzugeben.«
»Wurde sie Euch denn weggenommen?« fragte Marek.
»In gewisser Weise.« Der Mönc h ging zum Fenster, von dem aus man einen Blick auf die Dordogne und die Mühlenbrücke etwa vierhundert Meter flußaufwärts hatte.
»Mit ihren eigenen Händen haben die Mönche von Sainte-Mere die Mühle erbaut, auf Geheiß unseres verehrten Baumeisters, des Bruders Marcel. Marcel wird im Kloster hoch verehrt. Wie Ihr wißt, war er der Baumeister für unseren früheren Abt, Bischof Laon. Deshalb ist die Mühle, die er entwarf und die wir erbauten, das Eigentum des Klosters, wie auch ihre Abgaben.
Sir Oliver jedoch verlangt eine Mühlensteuer für seinen Säckel, obwohl er keinen Grund dafür hat, außer daß seine Truppen diese Gegend hier beherrschen. Deshalb ist unser ehrwürdiger Abt sehr erfreut, daß Arnaut gelobte, die Mühle dem Kloster zurückzugeben und die Steuer aufzuheben.«
Chris hörte aufmerksam zu und dachte: Meine Dissertation! Alles entsprach genau dem, was seine Recherchen ergeben hatten. Obwohl einige Leute das Mittelalter als eine rückständige Periode betrachteten, wußte Chris, daß es tatsächlich eine Zeit intensiver technologischer Entwicklung gewesen war und in dieser Hinsicht nicht sehr verschieden von unserer. Genaugenommen hatte die Industrialisierung und Mechanisierung, die zu einem Charakteristikum der westlichen Zivilisation wurde, im Mittelalter ihren Anfang genommen. Die größte damals verfügbare Energiequelle — die Wasserkraft – wurde zügig weiterentwickelt, ihre Anwendungsgebiete wurden beständig erweitert: Sie wurde nicht nur zum Mehlmahlen verwendet, sondern auch zum Walken von Tuch, zum Schmieden, zum Maischen von Bier, zur Holzbearbeitung, zum Mörtelmischen, zur Papierherstellung, zur Seilherstellung, zum Ölmahlen, zur Herstellung von Stoffarben und zum Antreiben der Blasebälge der Schmelzöfen zur Stahlherstellung. Überall in Europa wurden Flüsse aufgestaut und einen Kilometer weiter erneut aufgestaut; fast unter jeder Brücke lag ein Mühlenschiff vertäut. An einigen Flüssen standen die Mühlen aufgereiht wie an einer Perlenschnur, und jede nutzte die Energie des fließenden Wassers.
Mühlen wurden im allgemeinen als Monopol betrieben, sie waren eine wichtige Einkommensquelle und ein beständiger Anlaß für Konflikte. So gehörten im Umkreis einer Mühle Prozesse, Morde und Schlachten zum Alltag. Und hier gab es ein Beispiel, das zeigte —
»Und doch«, sagte Marek nun, »sehe ich, daß die Mühle noch immer in den Händen von Sir Oliver ist, denn sein Banner weht von den Türmen, und seine Bogenschützen bemannen die Brustwehr.«
»Oliver hält die Mühlenbrücke«, sagte der Mönch, »weil die Brücke dicht an der Straße nach La Roque liegt, und wer die Brücke beherrscht, der beherrscht auch die Straße. Aber Arnaut wird ihm die Brücke bald entreißen.«
»Und Euch zurückgeben.«
»In der Tat.«
»Und was bringt das Kloster als Gegenleistung?«
»Wir werden ihn natürlich segnen«, erwiderte der Mönch. Und fügte dann hinzu: »Und ihn auch großzügig entlohnen.«
Sie kamen durch ein Skriptorium, wo Mönche in Reihen vor ihren Pulten saßen und stumm Manuskripte kopierten. Aber in Mareks Augen wirkte das alles falsch: Anstelle von meditativem Gesang wurde ihre Arbeit begleitet vom Lärm und dem Geschrei des Spiels im Hof. Und trotz des alten zisterziensischen Bilderverbots malten viele Mönche Illustrationen in die Ecken und an die Ränder der Manuskripte. Die Maler saßen da mit einer Sammlung von Pinseln und steinernen Schälchen mit verschiedenen Farben. Einige der Illustrationen waren leuchtend bunt und reich
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