Timeline: Eine Reise in die Mitte der Zeit
»Dann bis morgen um zehn.«
»Ich halte dich nicht von deiner Arbeit ab?«
»Du weißt doch, daß du das tust.«
»Mir macht es nichts aus, wenn wir es auf einen anderen Tag verschieben.«
»Nein, nein«, sagte er. »Morgen vormittag um zehn.«
»Abgemacht«, sagte sie mit einem betörenden Lächeln.
In Wirklichkeit war Sophie Hampton fast zu schön, ihre Figur zu perfekt, ihr Wesen zu charmant, als daß das alles ganz echt sein konnte. Marek zum Beispiel mochte sie nicht.
Aber Chris war verzaubert.
Nachdem sie davongeritten war, stürmte Marek noch einmal heran. Diesmal brachte Chris sich rechtzeitig vor dem schwingenden Sack in Sicherheit. Als Marek dann wieder bei ihm war, sagte er: »Man hält dich zum Narren, mein Freund.«
»Vielleicht«, erwiderte Chris. Im Grunde genommen aber war es ihm egal.
Am nächsten Tag war Marek auf dem Klostergelände, um Rick Chang bei der Freilegung der Katakomben zu helfen. Sie gruben nun schon seit Wochen und kamen nur langsam voran, weil sie immer wieder menschliche Überreste fanden. Und immer wenn sie auf Knochen stießen, legten sie die Schaufeln weg und griffen zu Kellen und Zahnbürsten.
Rick Chang war der biologische Anthropologe des Teams und folglich Spezialist für menschliche Überreste; er konnte sich ein erbsengroßes Stück Knochen ansehen und sagen, ob es vom linken oder rechten Handgelenk stammte, von einem Mann oder einer Frau, einem Kind oder einem Erwachsenen, ob es alt war oder zeitgenössisch.
Aber die menschlichen Überreste, die sie hier fanden, waren verwirrend. Zum einen waren sie alle männlich, und einige der langen Knochen trugen Spuren von Kampfverletzungen. Mehrere Schädel zeigten Pfeilwunden. Tatsächlich waren im vierzehnten Jahrhundert die meisten Soldaten durch Pfeile gestorben. Aber es gab keine Quelle, die je von einer Schlacht bei dem Kloster berichtete. Zumindest keine, die sie kannten.
Sie hatten eben etwas gefunden, das aussah wie ein verrosteter Helm, als Mareks Handy klingelte. Es war der Professor.
»Wie läuft's?« fragte Marek.
»Bis jetzt gut.«
»Hast du mit Doniger gesprochen?«
»Ja. Heute nachmittag.«
»Und?«
»Ich weiß noch nicht.«
»Bestehen sie noch immer auf dem Wiederaufbau?«
»Ich bin mir nicht ganz sicher. Es ist hier alles ein bißchen anders, als ich es mir vorgestellt habe.« Der Professor klang unbestimmt, zerstreut.
»Inwiefern?«
»Darüber kann ich am Telefon nicht reden«, sagte der Professor. »Ich wollte euch nur eins sagen: In den nächsten zwölf Stunden braucht ihr von mir keinen Anruf zu erwarten. Vielleicht auch nicht in vierundzwanzig.«
»Aha. Okay. Alles in Ordnung?«
»Alles bestens, André.«
Marek war nicht ganz überzeugt. »Brauchst du ein Aspirin?« Das war einer ihrer Codesätze, eine Art zu fragen, ob etwas nicht stimmte, falls der andere nicht frei sprechen konnte.
»Nein, nein, überhaupt nicht.«
»Du klingst ein bißchen abwesend.«
»Überrascht, würde ich sagen. Aber alles ist okay. Zumindest glaube ich, daß alles okay ist.« Er hielt inne und fragte dann: »Und wie läuft's bei dir? Woran arbeitest du gerade?«
»Ich bin jetzt mit Rick beim Kloster. Wir graben in den Katakomben im vierten Quadranten. Ich schätze, daß wir heute abend oder spätestens morgen unten sind.«
»Großartig. Weiter so, André. Ich melde mich in ein oder zwei Tagen wieder.«
Damit legte er auf.
Marek hängte sich das Telefon wieder an den Gürtel und runzelte die Stirn. Was hatte das alles zu bedeuten?
Der Hubschrauber donnerte über sie hinweg, unter seinem Rumpf waren die Sensorenkästen zu erkennen. Stern hatte ihn noch einen Tag länger behalten, um noch einen Morgen-und einen Nachmittagsflug durchführen zu können; er wollte nachprüfen, wieviel von den Gebäudeteilen, die Kramer erwähnt hatte, mit den Instrumenten zu erkennen war.
Marek war neugierig, wie es wohl lief, aber um mit ihm zu reden, brauchte er ein Funkgerät. Und das nächste war im Lagerhaus.
»Elsie«, sagte Marek, als er das Lagerhaus betrat. »Wo ist das Funkgerät, mit dem ich David anrufen kann?«
Natürlich antwortete Elsie Kastner ihm nicht. Sie starrte einfach weiter auf die Dokumente, die sie vor sich ausgebreitet hatte. Elsie war eine hübsche, kräftige Frau, die sich unglaublich konzentrieren konnte. Stundenlang saß sie in diesem Lagerhaus und entzifferte die Handschrift auf Pergamenten. Für ihre Arbeit mußte sie nicht nur die sechs wichtigsten Sprachen des mittelalterlichen
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