Timeline: Eine Reise in die Mitte der Zeit
sieht aus wie ein Garten innerhalb der Klostermauer… woher stammt denn das überhaupt?«
Das Restaurant in Marqueyssac stand am Rand des Plateaus und bot einen Ausblick über das gesamte Tal der Dordogne. Als Kramer den Kopf hob, sah sie überrascht, daß der Professor mit Marek und Chris an ihren Tisch kam. Sie runzelte die Stirn. Eigentlich hatte sie erwartet, nur mit Johnston zu essen. Sie saß an einem Tisch für zwei.
Alle setzten sich, nachdem Marek zwei Stühle von einem Nebentisch geholt hatte. Der Professor beugte sich vor und sah sie eindringlich an.
»Ms. Kramer«, sagte er. »Woher wußten Sie, wo das Refektorium liegt?«
»Das Refektorium?« Sie zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Stand das nicht in Ihrem Wochenbericht? Nein? Dann hat es Dr. Marek vielleicht erwähnt.« Sie musterte die ernsten Gesichter, die sie anstarrten. »Meine Herren, Klöster sind nicht gerade mein Spezialgebiet. Ich muß es irgendwo aufgeschnappt haben.«
»Und der Turm im Wald?«
»Wahrscheinlich aus einem der Lagepläne. Oder den alten Fotos.«
»Wir haben es nachgeprüft. Da ist er nirgendwo drauf.«
Der Professor schob ihr eine Skizze über den Tisch zu. »Und warum hat ein ITC-Angestellter namens Joseph Traub eine Zeichnung des Klosters, die vollständiger ist als unsere?«
»Ich weiß es nicht… Woher haben Sie das?«
»Von einem Polizisten in Gallup, New Mexico, der dieselben Fragen stellt, die ich jetzt stelle.«
Sie sagte nichts. Starrte ihn nur an.
»Ms. Kramer«, sagte er schließlich. »Ich denke, Sie verschweigen uns etwas. Ich glaube, Sie haben hinter unserem Rücken eigene Analysen angestellt und sagen uns nicht, was Sie gefunden haben. Und ich glaube, der Grund dafür ist, daß Sie und Bellin in Verhandlungen über die Nutzung dieses ganzen Komplexes stehen für den Fall, daß ich mich als nicht kooperativ erweise. Und die französische Regierung wäre überglücklich, wenn sie endlich die Amerikaner von einer ihrer historischen Stätten verjagen könnte.«
»Nein, Professor, das stimmt absolut nicht. Ich kann Ihnen versichern —«
»Nein, Ms. Kramer, das können Sie nicht.« Er sah auf die Uhr. »Wann fliegt Ihre Maschine zurück?«
»Um drei Uhr.«
»Ich kann sofort aufbrechen.« Er schob seinen Stuhl zurück.
»Aber ich fliege nach New York.«
»Dann sollten Sie Ihre Pläne besser ändern und nach New Mexico fliegen.«
»Sie wollen doch sicher mit Mr. Doniger sprechen, und ich kenne seinen Terminplan nicht…«
»Ms. Kramer.« Er beugte sich über den Tisch. »Arrangieren Sie es.«
Als der Professor aufbrach, sagte Marek: »Möge Gott in seiner Gnade Euch auf Eurer Reise behüten und Euch sicher zurück geleiten.« Das sagte er immer zu Freunden, die verreisten. Es war ein Lieblingsspruch des Grafen Geoffrey de la Tour gewesen – vor sechshundert Jahren.
Manche meinten, daß Mareks Begeisterung für die Vergangenheit schon an Besessenheit grenze. Tatsächlich aber war es für ihn etwas ganz Natürliches: Schon als Kind hatte er sich stark zum Mittelalter hingezogen gefühlt, und in vieler Hinsicht schien er jetzt in dieser Zeit zu leben. (In einem Restaurant hatte er einem Freund einmal gestanden, er lasse sich keinen Bart wachsen, weil es nicht der Mode der Zeit entspreche. Erstaunt hatte ihm der Freund entgegengehalten: »Natürlich ist es in Mode, schau dir doch bloß die ganzen Bärte hier an.« Worauf Marek erwidert hatte: »Nein, nein, ich meine, es ist in meiner Zeit nicht in Mode.« Er meinte damit das dreizehnte und vierzehnte Jahrhundert.)
Viele Mediävisten konnten die alten Sprachen lesen, aber Marek konnte sie tatsächlich sprechen: Mittelenglisch, Altfranzösisch, Provenzalisch und Latein. Er war ein Experte für Bekleidung und Sitten der damaligen Zeit. Und mit seiner Größe und seinem sportlichen Können hatte er es sich auch zum Ziel gesetzt, die Kriegskünste der Zeit zu erlernen. Schließlich war es, wie er sagte, eine Zeit immerwährenden Krieges gewesen. Die riesigen Percherons, die damals als Schlachtrosse verwendet wurden, konnte er bereits reiten. Auch mit der Lanze war er schon einigermaßen geschickt, nachdem er stundenlang mit einer drehbaren Turnierpuppe, der sogenannten quintaine, geübt hatte. Den Langbogen beherrschte Marek so gut, daß er inzwischen die anderen unterrichtete. Und jetzt lernte er, wie man mit dem Breitschwert kämpfte.
Aber Mareks detaillierte Kenntnis der Vergangenheit ließ ihn manchmal den Bezug zur Gegenwart verlieren, und so
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