Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Timeline: Eine Reise in die Mitte der Zeit

Timeline: Eine Reise in die Mitte der Zeit

Titel: Timeline: Eine Reise in die Mitte der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Crichton
Vom Netzwerk:
gesagt? Was ist so besonders daran?«
    Marek übernahm das Antworten: »Wir haben eben davon gesprochen, daß dort noch nie gegraben wurde. Für uns ist es aber auch wichtig, weil Castelgard eine typische befestigte Stadt des vierzehnten Jahrhunderts ist. Der Ort selbst ist älter, aber zwischen dreizehnhundert und vierzehnhundert wurden die meisten Gebäude errichtet oder umgebaut, damit sie besseren Schutz boten: dickere Mauern, konzentrische Mauern, kompliziertere Gräben und Tore.«
    »Und wann ist das noch mal? Im finsteren Mittelalter?« fragte einer der Männer und goß sich Wein ein.
    »Nun ja«, sagte Marek. »Genau gesagt, das Hochmittelalter.«
    »Nicht so hoch, wie mein Alkoholpegel bald sein wird«, sagte der Mann. »Und was kommt dann davor? Das Tiefmittelalter.«
    »Genau«, erwiderte Marek mit einem ironischen Grinsen.
    »Mann«, sagte der andere, »Volltreffer.«
    Seit etwa vierzig vor Christus wurde Europa von Rom beherrscht. Die Region Frankreichs, in der sie sich jetzt befanden, Aquitaine, war ursprünglich die römische Kolonie Aquitania. Überall in Europa bauten die Römer Straßen, überwachten den Handel und hielten Recht und Ordnung aufrecht. Europa florierte.
    Doch um vierhundert nach Christus begann Rom, seine Soldaten zurückzuziehen und seine Garnisonen zu verlassen. Nach dem Zusammenbrach des Imperiums verfiel Europa fünfhundert Jahre lang in Gesetzlosigkeit. Die Bevölkerungszahl sank, der Handel ging zurück, Städte schrumpften. Das offene Land wurde von Barbarenhorden heimgesucht: von Goten und Vandalen, Hunnen und Wikingern. Diese finstere Zeit nannte man natürlich nicht Tiefmittelalter – hier hatte Marek seinen Gesprächspartner auflaufen lassen –, sondern das frühe Mittelalter.
    »Aber um das letzte Millennium — ich meine tausend nach Christus — wurde es langsam wieder besser«, fuhr Marek fort. »Eine neue Organisationsform bildete sich heraus, die wir Feudalismus nennen – ein Wort, das allerdings von den Leuten damals nicht benutzt wurde.«
    Im Feudalismus sorgten mächtige Regionalherrscher für Ordnung in ihren Regionen. Das neue System funktionierte. Die Landwirtschaft verbesserte sich. Handel und Städte florierten. Um zwölfhundert nach Christus war Europa wieder erblüht, mit einer größeren Bevölkerung als während des römischen Imperiums. »Deshalb betrachtet man das Jahr 1200 als den Beginn des Hochmittelalters — einer Zeit des Wachstums und der kulturellen Blüte.«
    Die Amerikaner waren skeptisch. »Wenn alles so toll war, warum wurden dann immer mehr Verteidigungsanlagen errichtet?«
    »Wegen des Hundertjährigen Kriegs«, sagte Marek, »der zwischen England und Frankreich ausgefochten wurde.«
    »Was war das, ein Religionskrieg?«
    »Nein«, erwiderte Marek. »Die Religion hatte damit nichts zu tun. Zu der Zeit waren alle katholisch.«
    »Wirklich? Was war mit den Protestanten?«
    »Es gab keine Protestanten.«
    »Wo waren die?«
    »Die hatten sich noch nicht erfunden«, sagte Marek.
    »Wirklich? Um was ging's dann in dem Krieg?«
    »Um Landeshoheit«, sagte Marek. »Es ging darum, daß ein großer Teil Frankreichs in englischem Besitz war.«
    Einer der Männer runzelte die Stirn. »Was soll das heißen? Daß Frankreich zu England gehörte?«
    Marek seufzte.
    Er hatte einen Schimpfnamen für Leute wie diese: Zeitprovinzler — Leute, die von der Vergangenheit keine Ahnung hatten und auch noch stolz darauf waren.
    Zeitprovinzler waren davon überzeugt, daß nur die Gegenwart Bedeutung hatte und daß man alles, was früher passiert war, einfach ignorieren konnte. Die moderne Welt war faszinierend und neu, und die Vergangenheit hatte keinen Einfluß darauf. Sich mit Geschichte zu beschäftigen war so sinnlos, wie das Morsealphabet oder das Kutschenfahren zu lernen. Und das Mittelalter — all diese Ritter in klirrenden Rüstungen und Damen in wallenden Gewändern und spitzen Hüten — war so offensichtlich irrelevant, daß man keinen Gedanken daran zu verschwenden brauchte.
    In Wahrheit aber war die moderne Welt im Mittelalter erfunden worden. Alles – vom Rechtssystem über die Nationalstaaten und das Vertrauen in die Technik bis hin zur Idee der romantischen Liebe — hatte seinen Ausgangspunkt im Mittelalter. Diese Börsenmakler verdankten sogar das Konzept der Marktwirtschaft dem Mittelalter. Und wenn sie das nicht wußten, kannten sie nicht einmal die grundlegenden Tatsachen ihres Seins. Warum sie taten, was sie taten. Woher sie kamen.
    Wie

Weitere Kostenlose Bücher