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Timm Thalers Puppen

Timm Thalers Puppen

Titel: Timm Thalers Puppen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Krüss
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Ich tat dies auch in meinem
    kümmerlichen Italienisch, und erst als unsere Gondel hineinglitt in den Kanal, kam Timm wieder zu Wort. Er sagte:
    »Mir fällt eine Geschichte ein, Monsieur, die von einer Firma wie der Ihren berichtet. Die Geschichte hat sogar mit dieser Stadt zu tun, durch die wir gondeln, mit Venedig. Später will ich ein Stück für Marionetten daraus machen.«
    »Dann sollten Sie uns diese Geschichte vielleicht erzählen, Herr…« Monsieur El Baid stockte und fragte: »Herr Thaler, nicht wahr?«
    Timm nickte und sagte: »Ich erzähle die Geschichte gern, zumal…«, er schnupperte, »… zumal die Kloake Venedig zu riechen beginnt. Merken Sie’s?«
    Wir brauchten gar nicht erst zu schnuppern; denn der Kloakengeruch war uns, da es auf dem Canal Grande noch nach Meer gerochen hatte, gleich nach der Einfahrt in den Seitenkanal in die Nase gestiegen.
    »Oben Paläste, unten die Kloake«, sagte Timm. Dann
    erklärte er dem Gondoliere, er möge uns langsam, nach seinem Belieben, durch die Kanäle fahren, da er ausführlich etwas zu berichten habe; und Monsieur El Baid sagte: »Wir hören also eine venezianische Geschichte, erzählt in einer venezianischen Gondel zum Plätschern des Ruders.« Er hob die Augenbrauen und die Hände: »Sehr fein. Tres bien.«
    Dann, während wir weich durch die Kanäle glitten, durch hohe enge Häuserschluchten, an Treppen, Bootspfählen und vielen Baikonen vorbei, immer wieder anderen Gondeln begegnend, Lastgondeln oder blumengeschmückten Gondeln mit jungen Pärchen, erzählte uns Timm Thaler die Geschichte: Der Müll im Juweliergeschäft

oder
    Abfall wird erst durch Rahmen schön

    In den Tagen des Wohlstands erschienen in den
    Fensterauslagen vieler Juweliergeschäfte drei Buchstaben aus Gold auf schwarzem Samt. Unterhalb dieser Buchstaben konnte man ein goldenes Schälchen sehen, in dem eine graubraune Masse lag. Um was es sich bei dieser Masse handelte, war nicht zu erkennen. Die drei Buchstaben aber waren lesbar. Sie lauteten: »ODU«.
    Ging jemand nun in ein Juweliergeschäft hinein und fragte, was das zu bedeuten habe, sagte der Juwelier meist
    achselzuckend, daß es sich um eine Werbung handle. Er werde dafür bezahlt. Was sie bedeute, wisse er noch nicht.
    Da diese Werbung fein und teuer war, mutmaßten alle
    Leute, daß es sich um eine Schmuck-Reklame handele. Doch mutmaßten die Leute falsch.
    Als vierzehn Tage später ein erklärender Text zu der Werbung hinzukam, war jeder, der ihn las, erstaunt. Der Text nämlich lautete: »Kein Gold, kein Diamant, keine Juwelen sind so kostbar wie die früchtetragende Erde, gedüngt mit Odu, dem natürlichen Düngemittel, gewonnen aus der
    jungfräulichen Erde Anatoliens, versetzt mit den erlesensten organischen Bestandteilen.«
    Warum für Dünger, der vielen Menschen ja als Dreck gilt, in allerfeinsten Juweliergeschäften geworben wurde, begriff am Anfang niemand. »Ein neuer Werbetrick«, sagten die Leute. Aber worin der Trick bestand, wußten sie nicht. Auch die drei großen Firmen der Kunstdünger-Branche, die Firmen Kalico, Calco und Malco, begriffen nicht, was diese Werbung bezweckte. »Da werben Spinner, die sich schwer verrechnen werden«, sagte der große alte Mann der Kunstdünger-Branche, Tiburtius Schark.
    Aber Tiburtius Schark irrte sich wie so viele andere Leute auch. Der merkwürdige Bund, der da geknüpft worden war zwischen Juwelen und Jauche, zwischen Diamanten und
    Dung, zwischen Mode und Mist oder, wie es ein Herr der Konkurrenz ausdrückte, zwischen Schmuck und Scheiße, der merkwürdige Bund erwies sich als erfolgreich. Diejenigen, die Dünger nötig hatten, die Landwirte nämlich, brachten jetzt von dem Düngerkauf, den sie beim Juwelier getätigt hatten, ihren Frauen goldene Broschen oder silberne Ohrringe mit,
    Geschenke des Juweliers. Und die Frauen der Juweliere, die natürlich in der Stadt einkauften, bekamen jetzt Tomaten, Bohnen oder Speck, Geschenke der Dünger kaufenden Leute vom Lande, die ihnen besser schmeckten als die Lebensmittel aus der Stadt.
    Der seltsame Bund zwischen Mode und Mist war
    erfolgreich, und das hatte der Hersteller des neuen
    Düngemittels Odu, eine gemischte Firmengruppe aus Europa und Kleinasien, beabsichtigt. Ein Mitglied des
    Verwaltungsrates, ein gewisser Baron L. von unbestimmter Nationalität, hatte in der entscheidenden Sitzung erklärt: »Was wir verkaufen wollen, meine Herren, das ist Dreck. Sehen Sie sich an, was wir aus Anatolien importieren: Dreck. Nichts

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