Timm Thalers Puppen
irgendwer anders verdient sich daran dick und dösig.«
»Dort, wo gehandelt wird, bei Käufern und Verkäufern«, sagte ich, »ist das so üblich.«
»Aber üblich«, sagte Timm, »war leider überall auch der Betrug. Den Kunden übers Ohr zu hauen, galt als schick. Es wurde, meine ich, zuviel geschummelt, zum Vorteil der einen und immer zum Nachteil der anderen, teils wirklich ekelhaft, teils eher harmlos – wie bei dem Fischgeruch mit
Meeresblick.«
»Und was ist, bitte, Fischgeruch mit Meeresblick?«
»Eine Begebenheit, aus der ich ein Marionettenstück
machen will. Ich erzähl sie dir, falls du sie hören willst, gern, aber erst nachher, wenn Krescho wieder da ist. Jetzt laß uns baden.«
Wir gingen ins Meer und schwammen ein Stück weit
hinaus. Das Wasser war klar und hatte keinen Ölgeruch wie am Strand von Venedig, am Lido.
Als wir zurückschwammen, sahen wir Krescho vor uns das Kraulen üben. Aber das Atemholen mit zur Seite gewendetem Kopf beherrschte er noch nicht. Er schien auch nicht sehr ehrgeizig zu sein. Als wir aus dem Wasser stiegen, ging er mit uns hinauf auf den Strand, wo er drei große Badetücher ausgebreitet hatte, auf die wir uns, naß wie wir waren, einfach fallen ließen.
Hier sagte Timm ein bißchen schwärmerisch: »Ah, diese Wonne, auf dem Sand zu liegen, vom Meer erfrischt und in der blanken Sonne. Und das galt unseren Urgroßeltern noch –
stellt euch das vor – als Greuel.«
»Dafür will heute alle Welt an Stränden liegen«, sagte ich.
»Ja«, sagte Timm. »Und Strand und Meer und Sonne sind heute auch ein ganz dickes Geschäft.«
Krescho, der auf dem Bauch lag, sagte behaglich und
beinahe schnurrend: »Ich habe nichts dagegen. Mir gefällt’s.«
Dann schloß er die Augen, um in der Sonne zu dösen.
Unweit von uns ließ sich jetzt ein Tourist von nördlicher Blässe nieder, ein dünner Mann mit spitzen Knien, der zu einer grünen Badehose einen rot-weiß gestreiften Pulli trug.
Ein messerscharfes Bärtchen saß auf seiner Oberlippe, sein Haar hatte er altmodisch mit Öl oder Pomade frisiert. Ich konnte ihn nicht lange angucken; denn er kaute auf seinen Nägeln. So legte ich mich auf den Bauch, guckte Timm Thaler an und sagte: »Du wolltest uns eine Geschichte erzählen. Jetzt wäre die Gelegenheit dazu.«
»Gut«, sagte Timm. »Krescho ist ja jetzt auch da. Da hört er die Geschichte mit.«
Krescho brummte, ohne den Kopf zu heben, irgend etwas Zustimmendes, und Timm Thaler fuhr fort: »Ich laß das Stück, das ich aus der Begebenheit mache, mit einem Interview beginnen. Und damit soll auch die Geschichte, die ich euch erzähle, beginnen. Hört zu.«
Er legte sich gemütlich mit dem Rücken auf das Badetuch, verschränkte die Hände unter seinem Kopf und erzählte mit geschlossenen Augen ins Blaue hinauf die Geschichte: Fischgeruch mit Meeresblick
oder
Man muß doch sozial denken
In den Tagen des Wohlstands fragte ein bekannter Reporter ein Mädchen mit Zöpfen: »Ist die Reklame von dir?«
»Ja«, sagte das Mädchen, »sie ist von mir.«
»Und wie heißt du?«
»Gabriela Hernandez Schlüter.«
»Bist du mit dem Hoteldirektor Hernandez verwandt?«
»Er ist mein Vater.«
»Und woher sprichst du so gut Deutsch?«
»Weil meine Mutter eine Deutsche ist.«
»Aha.« Der Reporter, ein kräftiger, aber nicht dicker Mann mit feuchten Lippen, die immerfort zu schmatzen schienen, nahm die Ledertasche mit dem Magnetophongerät vom Schoß, stellte sie vorsichtig auf die Marmorplatte des Terrassentisches und sagte, während seine Rechte dem Mädchen das Mikrofon hinhielt und seine Linke das Gerät einschaltete: »Erzähl mir die Geschichte auf Band, Gabriela. Ja?«
Das Mädchen, das aus der Sicht des Reporters vor dem mittagsblauen sonnenbeschienenen Meere saß, nickte und erzählte ohne jede Befangenheit: »Das war so. Als dieses Hotel hier gebaut wurde, da haben drei verschiedene
Baufirmen das gemacht. Es sollte nämlich schnell gehen.
Wenn dann die eine Firma hott gesagt hat, dann hat die andere hü gesagt. Dadurch kam vieles durcheinander. Und dadurch ist auch das mit den Rohren passiert.«
»Was ist denn mit den Rohren passiert, Gabriela?«
»So ganz genau weiß ich das nicht. Aber jedenfalls kam aus den Entlüftungsrohren in alle Zimmer Fischgeruch.«
»Und woher kam der Fischgeruch?«
»Aus der großen Fischbratküche unten im Hotel«,
antwortete Gabriela. »Die Rohre waren irgendwie falsch angeschlossen. Zum Glück hatten wir zu der Zeit noch
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