Timoken und der Trank der Unsterblichkeit
auf Vernichtung aus sind?“
„Sie werden Viridees genannt“, erwiderte der Dschinn. „Sie leben tief in den Wäldern in der feuchtkalten Finsternis, in der es nur Fäulnis und Verwesung gibt. Es sind böse Wesen mit dunklen Hexenkräften. Sie können die Gestalt von Bäumen und Pflanzen, von jedem nur erdenklichen grünen Gewächs annehmen und sie werden mindestens zweihundert Jahre alt. Im Wald herrscht eine große Güte, es gibt dort Schönheit und Freundlichkeit.“ Der Dschinn legte die Handflächen aufeinander, sodass eine Hand auf der anderen zu liegen kam. „Und es gibt die andere Seite.“ Er drehte die Hände, sodass die obere nun unten war. „Alles hat einen Schatten.“
Der König und die Königin starrten den Wald-Dschinn fasziniert und zugleich erschrocken an, doch der Dschinn breitete die Arme weit aus und sagte: „Verzagt nicht. Ich werde Euer Königreich verlassen, bevor sie mir folgen können, und ich werde Euch meine Schätze anvertrauen.“
„Deine Schätze?“, fragte der König. War es möglich, dass in diesem hauchdünnen, nebelhaften Gewand Schätze verborgen waren?
Der Dschinn sah die Königin durchdringend an. Seine Augen leuchteten vor Aufregung. „Ihr werdet bald ein Kind zur Welt bringen“, sagte er. „Einen Jungen. Und Ihr wünscht Euch, dass aus ihm ein wunderbarer Knabe wird.“
„Ja!“ Die Königin hielt sich an der Kante ihres Stuhles fest und erwiderte den ernsten Blick des Dschinns. „Doch mehr als alles andere wünsche ich mir, dass er behütet und sicher aufwächst. Ich mache mir solche Sorgen um ihn. Ich weiß nicht, warum. Meine Angst ist wahrscheinlich töricht, völlig absurd.“
„Ihr spürt, dass etwas geschehen wird“, erwiderte der Dschinn. „Aber ich kann Eure Zukunft beeinflussen.“ Aus den Falten seines Gewandes zog er ein feines silbernes Gespinst hervor. Als er es in seinen Händen drehte, schimmerte jeder der winzigen Spinnfäden in einer anderen Farbe. Die Königin hielt den Atem an. Sie hatte noch nie etwas so Zauberhaftes gesehen.
„Dieses Netz wurde von der letzten Mondspinne gesponnen“, erklärte der Dschinn. „Spinnengewebe wie dieses werden den Wald nie wieder schmücken, denn die Mondspinnen sind allesamt fort. Die Bösen Mächte erkannten zu spät, dass sie etwas getötet hatten, was sie hätte schützen können.“
„Und dieses Gespinst soll nun meinen Sohn beschützen?“, fragte der König. „Es könnte ihm missfallen, sein ganzes Leben lang ein Spinnennetz zu tragen.“
„Das ist auch nicht nötig.“ Der Dschinn lächelte nachsichtig. „Wickelt ihn gleich nach der Geburt in das Netz und entfernt es, wenn er zum ersten Mal lächelt.“
„Das ist alles?“, fragte die Königin ungläubig. „Dann wird er vor allen Gefahren geschützt sein?“
„Solange er das Netz trägt, wenn er in Gefahr ist. Aber da ist noch etwas“, fuhr der Dschinn vergnügt fort. „Euer Sohn wird außerdem ein großer Magier sein, denn ich habe das Gespinst mit den Tränen von Geschöpfen benetzt, die noch nie jemand zu Gesicht bekommen hat, und ich habe es in den Tau von Blüten getaucht, die bald von der Erde verschwinden werden.“ Er lächelte wehmütig. „Genau wie ich, der letzte Wald-Dschinn.“ Damit legte er die schimmernde Seide in den Schoß der Königin.
Die Königin betrachtete das Spinnennetz einen Moment lang und war außerstande, zu sprechen oder es zu berühren. Dann kam ihr unversehens ein Gedanke in den Sinn und sie sagte: „Wir haben eine Tochter, Zobayda. Kannst du ihr denselben Schutz bieten und dieselben Geschenke machen wie unserem Sohn?“
Der Dschinn sah der Königin für mehrere Sekunden tief in die Augen. Es schien, als würde er ihre Zukunft lesen. „Für Zobayda ist es zu spät“, sagte er schließlich. „Ein Kind muss von dem Netz umhüllt werden, bevor zwei Jahre verstrichen sind. Aber ich habe das hier.“ Er zog ein winziges Stück Seide aus seinem Gewand hervor. „Wickelt dies um den Finger der Prinzessin“, sagte er, „und ihre Fingerspitzen werden von Magie erfüllt sein.“
Der König nahm die Seide aus der schmalen Hand des Dschinns. Noch während er das tat, wurde ihm bewusst, dass der Dschinn das letzte bisschen hergab, das ihn selbst noch hätte schützen können. Der König sah zur Königin hinüber. Sie hatte ebenfalls erkannt, welch großes Opfer der Dschinn ihnen brachte. Doch bei dem Gedanken an ihre Tochter konnte keiner von beiden das Geschenk ablehnen und sie nahmen es ohne ein Wort
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