Timoken und der Trank der Unsterblichkeit
an.
„Ich habe noch etwas“, fuhr der Dschinn fort und ließ wie ein Zauberkünstler eine Flasche erscheinen. Sie war wie ein Vogel geformt und die Flüssigkeit darin war so klar wie Wasser.
Der Dschinn erklärte dem Königspaar, dass dies ein besonderes Elixier se i – das Wasser des Lebens. Wenn man in jeder Neumondnacht einen Tropfen zu sich nehme, könne man das Älterwerden verhindern.
Kaum hatte die Königin die Flasche an sich genommen, schwebte der Dschinn hinaus in den Himmel wie ein vom Wind hinweggewehtes Blatt und verschwand.
In dieser Nacht wickelte die Königin das Stück Seide um den Mittelfinger ihrer schlafenden Tochter. Fast augenblicklich verwandelte es sich in einen wunderschönen silbernen Ring, der wie ein Flügelpaar geformt war. Ein kleiner Kopf lugte am oberen Ende hervor und ein winziger Fuß war am anderen Ende herausgestreckt. Dadurch sah der Ring aus wie eine in Silber gegossene Miniaturausgabe des Wald-Dschinns.
Bevor die Königin an diesem Abend zu Bett ging, versteckte sie das Mondspinnennetz und die Flasche mit dem Elixier sorgsam in einer großen Truhe.
Drei Wochen später wurde der königliche Nachwuchs geboren. Der Junge hatte große, aufmerksame Augen und war von schöner, kräftiger Gestalt. Er machte keinen Mucks, als die Königin ihm das Spinnennetz umlegte. Nach fünf Tagen befreite er sich mit seinen kleinen Händen von der Seide und schenkte seiner Mutter ein strahlendes Lächeln.
„Er lächelt!“ Die Königin wickelte ihren neugeborenen Sohn aus der Umhüllung und zog ihm die scharlachroten Gewänder an, die seit Generationen von den königlichen Nachkommen getragen wurden.
Sie nannten den Jungen Timoken, nach dem ersten Herrscher des Königreiches. Während er heranwuchs, warteten seine Eltern auf erste Anzeichen der magischen Gaben, die er eigentlich zeigen sollte. Doch Timoken wirkte wie jeder andere Junge auch. Ungewöhnlich war vielleicht nur, dass er stundenlang dem Regen zusehen konnte oder völlig fasziniert war vom Anblick taubenetzter Blätter, dass er auch den winzigsten Lebewesen voller Ehrfurcht begegnete und mit begeisterter Miene dem Gesang der Vögel lauschte.
Als Timoken neun Jahre alt wurde, schenkte ihm sein Vater ein perlenbesetztes Messer. Es sollte ihm als Schutz vor Schlangen und Skorpionen dienen, doch Timoken benutzte es meist, um damit Bilder in Felswände zu ritzen. Er konnte ein richtiger Lausbube sein und es fiel ihm leicht, Freundschaften zu schließen. Doch mehr als alles andere genoss er die Gesellschaft seiner Schwester Zobayda. Den König und die Königin freute es, ihre Kinder einander so verbunden zu sehen. „Sie werden niemals allein sein“, seufzte die Königin glücklich.
Auch Zobayda wuchs heran, doch der silberne Ring wurde ihr niemals zu eng. Er passte ihr nach wie vor wie angegossen. Die Königin erzählte ihr, dass sie den Ring einst von einem magischen Wesen bekommen habe und dass er sie immer beschützen werde. Doch dieses Versprechen hatte der Wald-Dschinn so nie gegeben.
Unterdessen war der Dschinn in den Wald zurückgekehrt.
Kurz bevor die Viridees ihn fanden, saß er an einem Teich und sang vor sich hin. Er hatte sie schon erwartet.
Langsam begannen die Viridees ihn einzukreisen. Doch wo war das Mondspinnennetz? Aus den Schatten heraus hatten sie mit angesehen, wie der Wald-Dschinn das Gespinst mit den Tränen seltener Kreaturen benetzt hatte. Sie hatten beobachtet, wie er es in den Tau kostbarer Blüten getaucht hatte, und sie hatten die Flasche gesehen, die wie ein Vogel geformt war. Der Dschinn hatte sie mit dem Wasser eines mondbeschienenen Teichs gefüllt und die Viridees hatten gehört, wie er es mit einem Zauber belegte. Doch er hatte zu schnell gesprochen, sodass sie weder seine Worte richtig verstanden hatten noch sich daran erinnern konnten, was er gesagt hatte.
Die Viridees glaubten, dass das Netz ungewöhnlicher, kostbarer und mächtiger war als alles, was sie besaßen. Und ihr Gebieter verlangte von ihnen, es in ihren Besitz zu bringen.
„Wo ist das Netz der letzten Mondspinne?“ Die gurgelnde Stimme des Viridees unterbrach den Gesang des Dschinns.
„Ihr habt die letzte Mondspinne getötet“, antwortete der Dschinn.
„Was hast du mit dem Spinnennetz gemacht?“
Der Dschinn schüttelte den Kopf. „Ihr werdet es niemals finden.“
Die Viridees warfen kurzerhand ein Netz aus Schlingpflanzen über das kleine Geschöpf. Der Dschinn wehrte sich nicht. Sie brachten ihn zu Lord Degal,
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