Tinker-Kate und die geheime Bruderschaft
Gedanken daran, sondern konzentrierte sich nun ganz auf ihre bevorstehende Aufgabe.
Wenig später war sie wieder im Hotel und fuhr gemeinsam mit dem Pagen im Lift nach oben.
„Hast du die Zimmernummer?“
„Ja, Miss. Nummer 134, Miss. Wie ist es eigentlich so, mit einem Dampfkutter zu fliegen?“
„Rußig“, gab Kate knapp zurück. Sie wollte sich nicht wie eine arrogante Zicke aufführen, denn der Page hatte ihr ja auch gar nichts getan. Aber sie wurde plötzlich von einer mulmigen Empfindung in der Magengegend übermannt. Kate hatte sich schon öfter in gefährlichen Situationen befunden, und fast immer war sie zuvor durch ihr Bauchgefühl gewarnt worden.
Hier stimmte etwas nicht. Aber was? Im Aufzug selbst konnte Kate nichts Verdächtiges bemerken. Außer ihr selbst und dem Pagen war nur der Liftboy in der mit Spiegeln und Schnitzereien verzierten Kabine. Und keiner der beiden Jungen machte einen gefährlichen Eindruck. Es waren Milchgesichter, die gleich nach dem Abschluss der Volksschule einen guten Job gefunden hatten. Gleichaltrige mussten im Kohlebergbau schuften oder sich als Schiffsjungen im Nordatlantik die Zehen abfrieren. So gesehen war eine Stellung in dem Luxushotel wie ein Lotteriegewinn.
Der Lift hielt im ersten Stockwerk. Und Kate spürte, dass hier etwas Erschreckendes auf sie warten würde. Sie trat aus der Liftkabine, spürte den weichen Teppich des Hotelkorridors unter den Sohlen ihrer Knopfstiefeletten. Und dann erkannte Kate, dass ihr Instinkt sie nicht getäuscht hatte.
Es roch nach Blut.
Während ihrer Kindheit hatte Kate mit ihren Eltern in der Nähe eines Schlachthofs gewohnt. Daher war ihr der Odem von warmem rotem Lebenssaft nur allzu bekannt. Nachdem Kates Mutter am Fleckfieber gestorben war, war ihr Vater mit ihr in ein anderes Haus gezogen. Doch die Erinnerung an den Blutgeruch hatte Kate im Gedächtnis behalten.
Kate schaffte es in diesem Moment, nicht die Nerven zu verlieren. Sie beglückwünschte sich selbst dazu, dass sie bereits vor dem Betreten des Hotels ihren eisernen Schlagring unter den rechten Handschuh geschoben hatte. So bewaffnete sie sich meist, wenn sie nach Einbruch der Dunkelheit noch unterwegs war. Wer Kate ans Leder wollte, würde eine böse Überraschung erleben.
Kate dachte kurz daran, einfach aus dem Hotel zu verschwinden. Aber dann siegte ihre Neugier über ihre Furcht. Sie wollte unbedingt herausfinden, woher der Blutgeruch stammte. Kate wandte sich an den Pagen.
„Fällt dir hier gar nichts auf?“
„Ich weiß nicht, was Sie meinen, Miss. – Doch, die Zimmertür da vorn steht halb offen.“
Der Page deutete auf das Ende des Korridors. Kate hob ihre Augenbrauen. Wieso war ihr selbst das noch nicht aufgefallen? Sie wusste es nicht.
Der Blutgeruch zog durch die offenstehende Tür auf den Gang.
Kate und der junge uniformierte Hoteldiener näherten sich dem Raum mit der Nummer 134, in dem sich angeblich der betrunkene Gast befinden sollte. Und genau diese Zimmertür stand offen. Nun bemerkte endlich auch der Page, dass hier etwas faul war.
„Verflixt, was ist da los?“
Seine Stimme klang in diesem Augenblick sehr kindlich. Der Junge war noch im Stimmbruch, gehörte gewiss zu den jüngsten Angestellten des Luxushotels.
Kate antwortete ihm nicht. Sie musste sich Gewissheit verschaffen, was geschehen war. Wenn sie sich jetzt einfach auf dem Absatz umdrehte und verschwand, würde sie in dieser Nacht garantiert keinen Schlaf finden. Kate wollte die Wahrheit erfahren, auch wenn sie noch so schrecklich war. Deshalb tat sie, was sie tun musste.
Der Page blieb ängstlich ein paar Schritte hinter ihr, aber das war Kate egal. Sie betrat das Hotelzimmer, in dem eine von der Decke hängende Petroleumlampe mildes gelbliches Licht verbreitete. Der Anblick ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.
Der Mann in dem taubengrauen Reiseanzug auf dem Fußboden benötigte jedenfalls keinen Dampfkutter mehr, nur einen von zwei Rappen gezogenen schwarzen Leichenwagen. Seine erstarrten Gesichtszüge zeigten blankes Entsetzen, die klaffende Halswunde erstreckte sich vom Kehlkopf bis zum Nacken. Der Teppich unter dem Leichnam war rot gefärbt.
Und in dem erkaltenden Körper des Toten befand sich offenbar kein Tropfen Blut mehr.
Kates Schockstarre dauerte nur kurz. Während der Page wie Espenlaub zu zittern begann, behielt sie die Nerven. Kate warf einen Blick in das angrenzende Badezimmer. Sie musste sich vergewissern, dass der Mörder sich nicht noch
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