Tinker-Kate und die geheime Bruderschaft
dort verborgen hielt.
Doch in dem Raum gab es nur eine emaillierte Badewanne mit stilisierten Löwenfüßen, viel Marmor und venezianisches Glas zu sehen – aber keinen Killer. Auch im Kleiderschrank oder unter dem großen französischen Bett hielt sich niemand versteckt.
Kate raffte ihren Rocksaum und rannte über die Treppe zurück zur Rezeption. Sie wollte nicht erst auf den Lift warten. Der Portier reagierte auf die Todesnachricht so gefasst, wie man es von einem Mann in seiner Position erwarten konnte. Kate wusste, dass sich in den Zimmern des Luxushotels die unglaublichsten Dinge abspielten. Da war auch der Fund einer blutigen Leiche nichts, was einen Portier in helle Panik versetzen konnte.
„Ich werde sofort die Polizei anmorsen“, verkündete der Mann hinter dem Empfangstresen. „Bitte halten Sie sich für die Kriminalbeamten zur Verfügung, Miss Fenton.“
Kate nickte. Seit der Erfindung des Schreibtelegraphen durch Samuel Finley Breese Morse im Jahr 1837 hatte sich diese Technologie im britischen Königreich schnell verbreitet. Alle wichtigen Firmen und Behörden verfügten über Morse-Telegraphen, durch die sie miteinander kommunizieren konnten.
Dennoch musste Kate noch eine Viertelstunde warten, bis endlich das Überfallkommando von Scotland Yard eintraf. Die Regierung dachte nicht daran, die Polizei mit Dampfkuttern auszustatten. Und so kam es, dass die Einsatzkräfte in Pferdekutschen anrücken mussten.
Lange dauerte es nicht, bis Kate ihre Aussage zu Protokoll gegeben hatte. Sie hatte den Toten ja nicht gekannt, wusste noch nicht einmal seinen Namen. Und auch der Page gab mit piepsender Stimme kaum etwas Brauchbares von sich.
Als Kate gehen durfte, war sie innerlich völlig durcheinander. Morgens hatte sie noch Zeitungen gekauft, weil sie möglichst viel über die geheimnisvollen Blutmorde von London erfahren wollte. Und nun hatte sie selbst ein Opfer dieser unheimlichen Verbrechensserie entdeckt. Für Kate gab es nämlich keinen Zweifel daran, dass hier derselbe Täter am Werk gewesen war. Sie wusste, dass alle bisherigen Toten eine Halswunde aufwiesen und keinen Tropfen Blut mehr im Körper hatten. Und in genau diesem Zustand hatte sie den Hotelgast gefunden.
„Sind Sie frei?“
Die dunkle Männerstimme riss sie aus ihren Überlegungen.
Kate war gerade durch den Dienstbotentrakt des Hotels zum Hinterausgang gelangt, wo noch immer O’Leary in dem Dampfkutter auf sie wartete. Doch nicht ihr Heizer war es, der sie angesprochen hatte.
Im Halbdunkel trat der gutaussehende Gentleman aus der Hotelhalle auf sie zu. Nun bemerkte Kate, dass er nicht viel älter sein konnte als sie selbst. Aus der Nähe wirkte sein Gesicht mit dem gepflegten Backenbart viel jünger, er war höchstens Mitte zwanzig. Kate war unruhig, denn der Anblick der blutigen Leiche hatte sie natürlich nicht kalt gelassen. Außerdem musste man damit rechnen, dass sich der Mörder immer noch im Hotel aufhielt. Der Mann schaute Kate erwartungsvoll an. Da wurde ihr bewusst, dass sie seine Frage immer noch nicht beantwortet hatte. Es musste fast eine Minute verstrichen sein, seit sie von ihm angesprochen wurde. Normalerweise war Kate sehr schlagfertig, aber in dieser Nacht war irgendwie alles anders als sonst.
„Äh, ja, Sir. Ich hatte eine andere Fuhre, aber … das hat nicht geklappt. Mein Dampfkutter steht Ihnen also zur Verfügung.“
„Das ist gut, Miss. Gehen wir, ich muss dringend von hier fort.“
Gemeinsam mit dem Gentleman bewegte sich Kate auf den Hinterausgang zu. Dort hielt ein uniformierter Bobby mit seinem typischen dunkelblauen Helm Wache. Kate kannte ihn und nickte ihm zu.
„Guten Abend, Konstabler Barnes.“
„Guten Abend, Miss Fenton. Ich hoffe, dass wir diesen Schweinehund endlich erwischen. Der Inspektor hat mich angewiesen, keine zwielichtigen Gestalten aus dem Hotel zu lassen.“
Aber offenbar zählte der Uniformierte weder Kate noch ihren Fahrgast zu den Verdächtigen, denn er ließ sie ohne Kontrolle passieren. Der Konstabler kannte die junge Frau seit Jahren. Vermutlich erschien ihm der Gentleman schon deshalb unverdächtig, weil er sich in Kates Gesellschaft befand. In der Gasse hinter dem Hotel war es ziemlich düster, doch die Positionslaternen von Kates Dampfkutter waren gut zu erkennen. Nebel zog auf. London verwandelte sich in ein graues trübes Nirgendwo.
„Nehmen Sie bitte Platz, Sir. Wo soll es hingehen?“
„Fliegen Sie mich nach East Barnet. Wenn wir dort sind, werde ich Sie
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