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Tinnef

Tinnef

Titel: Tinnef Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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das?“
    „Herr Regierungsrat, ich …“
    „Bronstein! Das war eine rhetorische Frag’, ned wahr?! Wenn wir ned wisserten, was wir mit Ihnen machen sollen, dann wären wir ja fehl am Platz, ned wahr? … Alsdern!“ Gayer ließ seinen Blick scheinbar gelangweilt über seinen Schreibtisch schweifen, wobei er zwischen seinen Zähnen ein leises Pfeifen vernehmen ließ. Bronstein stand immer noch auf der anderen Seite des Möbelstücks und trat so unauffällig wie möglich von einem Bein auf das andere. Gleich, so wusste er, kam die Urteilsverkündung. Doch Gayer ließ sich Zeit. Das schien nichts Gutes zu verheißen.
    „Bronstein, Bronstein, Bronstein …!“ Kopfschütteln und fortgesetztes Pfeifen. Dann abrupter Blickkontakt: „Sie wissen aber schon, dass Sie eigentlich gar keine zweite Chance verdient haben, oder?“ Bronstein schlug den Blick nieder und nickte.
    „Also wenn sich der Ritter nicht noch einmal für Sie verwendet hätt …“
    Was? Marie Carolines Vater, der ihm seit Ende Februar konsequent aus dem Weg gegangen war, hatte sich doch noch einmal dazu aufgerafft, ihm aus der Bredouille zu helfen? Offenbar hatte er den alten Herrn gänzlich falsch eingeschätzt.
    „Schauen S’, wir setzen Ihnen quasi eine Bewährung aus, ned wahr?! Sie kommen bis auf Weiteres in die Abteilung zur besonderen Verwendung. Wie übrigens dieser andere Unglückswurm auch, den Sie da mitgeritten haben, … dieser Pokorny, ned wahr?! Da schauen wir uns einmal an, wie Sie sich halten, na, und wenn Sie dort nicht wieder alles vermasseln, dann, … na bitte schön …, reden kann man über alles, ned wahr?!“
    Ohne dass Gayer es ausgesprochen hätte, hatte er mit seinen Worten tatsächlich eine volle Begnadigung in Aussicht gestellt. Ein wenig länger musste er also noch im Purgatorium ausharren, dann stand einer Himmelfahrt nichts mehr im Wege. Und dann würde auch Marie Caroline ihn wieder ein wenig mehr mögen. Dann würde überhaupt alles wieder in Ordnung kommen. Und dann, ja dann, würde er jede weitere Dummheit a priori zu vermeiden wissen! Er atmete erleichtert durch und sah Gayer dankbar an.
    „Melden S’ Ihnen beim Oberrat Klinger, der wird Ihnen sagen, worin Ihre nächsten Aufgaben liegen. … So, das war’s, ned wahr?! Gott befohlen.“ Gayer machte eine nachlässige Handbewegung, die Bronstein signalisierte, dass er entlassen war. Im Vorzimmer erkundigte er sich danach, wo er diesen Oberrat Klinger antreffen könne, und wenige Augenblicke später wusste er, dass er bis auf Weiteres der Observationstruppe zugeteilt war. Wären die Ereignisse der letzten drei Monate für ihn nicht so tragisch gewesen, er hätte lachen mögen. Er war, wie es schien, wieder genau dort angelangt, wo die ganze Geschichte begonnen hatte.
    Aber doch nicht ganz. Im Winter war er wenigstens gefährlichen Burschen nachgelaufen, jetzt bekam er die Order, in der Hauptpost nach dem Rechten zu sehen. Real war er neuerlich degradiert worden. Vom Schutz- zum Wachmann. Doch er beschloss, auch diese Erniedrigung anstandslos zu schlucken, denn wer nach oben wollte, so tröstete sich Bronstein, der musste immerhin unten sein. Und von seiner Warte aus konnte es überhaupt nur noch nach oben gehen.

IX.
Samstag, 24. Mai 1913
    Die nächsten drei Wochen waren allerdings ein neuerliches Kalt-Warm. Der Überwachungsdienst war an Monotonie nicht zu überbieten, hatte aber immerhin den Vorteil, dass Bronstein nicht stundenlang auf demselben Fleck stehen musste. Dafür ließ der Edle von Ritter durchblicken, dass er eventuell wieder in Gnaden aufgenommen werden könnte, was in einer Einladung zum Diner zum Ausdruck gebracht wurde, bei welchem sich Bronstein quasi endlich wieder dem Hause Ritter offiziell nähern durfte. Doch just als dieser Silberstreif am Horizont auftauchte, war es Marie Caroline, die Schwierigkeiten zu machen begann. Sie wurde mit jedem Tag unduldsamer und forderte von Bronstein eine Beschleunigung seiner Rehabilitierung, weil es doch gesellschaftlich unmöglich sei, weiterhin mit einem Habenichts gesehen werden zu müssen, der Tätigkeiten auszuführen hatte, die einem ungeschlachten Tagelöhner anstünden, nicht aber dem Begleiter eines Fräuleins von adeliger Abkunft. Bronsteins Einwände gegen diese Klagen verhallten ungehört, und der Silberstreif wurde immer mehr durch dräuende Gewitterwolken am Beziehungsfirmament verdeckt. Und die Wetterlage änderte sich auch nicht durch den Umstand, dass Bronstein und Pokorny den Auftrag

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