Tinnitus - Endlich Ruhe im Ohr
Fehlfunktionen unseres Hörsystems in den Zentren unseres Gehirns erklärbar geworden.
Der Hirnstamm als unbewusste Alarmanlage und Stresszentrum
Die vom Ohr über 24 Stunden am Tag weitergeleitete akustische Information gelangt in ihrer Gesamtheit zunächst in das erste wichtige Zentrum, den Hirnstamm (s. Abb. b, S. 35 ).
Was passiert im Hirnstamm? Im Hirnstamm ist eine lebenswichtige Filteranlage installiert, die aus der Flut von ankommenden Informationen gefährliche Signale herausfiltert und reflexartig körperliche Reaktionen zur Abwehr von Gefahren einschaltet.
Mithilfe des Botenstoffes Adrenalin als Stresshormon werden körperliche und hormonelle Reaktionen blitzartig ausgelöst. Fatal äußert sich dieser Zusammenhang, wenn ein Tinnitus von diesem System unbewusst als Alarmsignal interpretiert wird: Es kommt aufgrund dieses neuen und nicht einzuordnenden Signals gleichsam zu einem »Dauererschrecken«. Dieses »Dauererschrecken« führt zu einer Angst- und Panikreaktion mit Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen, schließlich zur Erschöpfung und zur Depression.
Die Alarmreaktion. Es handelt sich also bei diesen Reaktionen nach einer Entstehung von Tinnitus eigentlich um normale, also physiologische Reaktionen, ausgelöst durch unser Hörzentrum imHirnstamm. Eine Angstreaktion bzw. depressive Reaktion und die damit verbundenen Begleitstörungen als »psychisch« abzustempeln ist falsch!
Die Alarmreaktion hat wichtige Nebeneffekte: Durch die Ausschüttung von Adrenalin wird – wie beim Innenohr besprochen – das Innenohr in seiner Aktivität gesteigert, das heißt empfindlicher gemacht. Dies führt zu der bei vielen Patienten bestehenden Geräuschempfindlichkeit – der Hyperakusis.
Das neue Signal, also der Tinnitus, führt zu einer latenten Angstbereitschaft, die sich verselbstständigen kann und zu einer Angststörung führt. Eine solche Angststörung ist bei vielen Tinnituspatienten besonders im Anfangsstadium zu beobachten. Sie ist ebenfalls ausdrücklich nicht Zeichen einer psychischen Störung, sondern sozusagen normaler Nebeneffekt der Funktion der Hörzentren im Gehirnstamm!
Der Adrenalineffekt führt insbesondere bei Patienten mit chronischem Tinnitus zu einer Verstärkung eines Ohrgeräusches bei Stress und auch bei Sport! Viele von Tinnitus Betroffene werden diese Verstärkung bei körperlichem Stress infolge Krankheiten (zum Beispiel Grippe) oder bei psychischem Stress kennen gelernt haben. Nach Abklingen dieses körperlichen bzw. psychischen Stresses wird dann das Ohrgeräusch wieder auf das »alte Niveau« heruntergefahren.
Irritierend für viele Betroffene ist die Verstärkung eines Ohrgeräusches bei sportlicher Belastung. Ihnen muss erklärt werden, dass eine sportliche Belastung insbesondere im Kurzzeitbereich ohne Adrenalin nicht möglich ist, da sie sonst keine sportliche Leistung bringen würden. Da Adrenalin jedoch das Ohr gleichermaßen anfeuert, wird ein Tinnitus lauter werden. Auch dies ist eine normale und physiologische Reaktion! Auf der anderen Seite ist Sport einer der wirksamsten Adrenalinverbrenner und Ausdauersport damit einer der wirksamsten Tinnitushilfen! (s. → S. 176 .).
WICHTIG
Tinnitus ist keine Krankheit, sondern ein Signal, das uns nicht körperlich bedroht! Entspannungsmaßnahmen (s. → S. 174 ) und Ausdauersport (s. → S. 176 ) helfen bei der Bewältigung.
Das Limbische System: Zentrum der Aufmerksamkeit und akustisches Gedächtnis
Ein zweites wichtiges System in unserem Gehirn entscheidet darüber, ob wir unter Tinnitus leiden und ob Tinnitus chronisch wird, das Limbische System.
Es handelt sich um ein beim Menschen hoch entwickeltes Netzwerk, in demein Teil unseres Gedächtnisses, unserer Aufmerksamkeit und bestimmte emotionale Verknüpfungen verarbeitet werden. Hier sind unsere Englischvokabeln abgespeichert, die wir in der Schule oft mühsam gelernt haben. Viele Leser werden sich daran erinnern, dass diese Vokabeln vor einer Klassenarbeit intensiver und besser abgespeichert wurden. Die Angst vor einer schlechten Note hat uns damals beflügelt.
In Bezug auf Tinnitus ist eine solche Abspeicherung natürlich genau das Gegenteil von dem, was wir wollen. Jeder von uns hat eine solche akustische Abspeicherung in Form eines sog. »Ohrwurmes« schon erlebt.
Bereits bei der Entstehung eines Ohrgeräusches, also im Akutstadium, entscheidet die Aktivität dieses Zentrums, wie sehr wir uns von dem neuen Signal gefangen nehmen lassen und wie sehr
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