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Titan 05

Titan 05

Titel: Titan 05 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederik Pohl , Wolfgang Jeschke
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Miller.
    »Was werden Sie machen, Doktor? Ich hatte schon zuvor fragen sollen, aber…«
    »Machen Sie sich um mich keine Sorgen, Kind«, sagte er im gleichen aufmunternden Ton, in dem er seinen alten Patienten zu versichern pflegte, sie hätten noch vierzig Jahre zu leben. »Ich habe noch zu tun. Die Frau von der Poststation wird als eine der Letzten fahren und mich mitnehmen. Steigen Sie nur ein, es besteht keine unmittelbare Gefahr. Noch denkt kein Mensch an Plünderung, Raub oder Vergewaltigung. Darauf werden sie erst ein wenig später kommen.«
    Sie schüttelte ihm die Hand und stieg ein. Im letzten Augenblick wandte sie sich noch einmal um und gab Amos kurz die Hand. Dann schlug die Tür zu, und der Wagen setzte sich in Bewegung.
    »Sie haßt mich«, sagte Amos. »Sie liebt die Menschen zuviel und Gott zuwenig, um zu verstehen.«
    »Und du liebst deinen Gott vielleicht zu sehr, um zu verstehen, daß du die Menschen liebst, Amos. Keine Bange, sie wird noch anders darüber denken. Wenn du sie das nächste Mal siehst, wirst du sie verändert finden. Bis später.«
    Doktor Miller nahm seine Tasche und ging die Straße entlang zum Postbüro. Amos schaute ihm nach, wie stets verblüfft, daß jemand mit solcher Entschiedenheit Gott leugnen und doch mit Ausnahme der Anbetung alle Gebote des Herrn einhalten konnte. Sie waren seit langem Freunde, und wenngleich der Pfarrer mit der Zeit aufgehört hatte, nach einer Erklärung für dieses Phänomen zu suchen und es als gegeben hinnahm, blieb das Rätsel nach wie vor ungelöst.
    Kurze Zeit später wurde die Ortschaft von mehreren großen Raumschiffen der fremden Eindringlinge überflogen, aber sie steuerten offenbar Clyde an, und es geschah weiter nichts.
    Nach einem Blick zum dunklen Schlafzimmerfenster wandte Amos sich um und ging zur Kirche. Er öffnete die Türflügel weit und ging auf der Suche nach dem Küster und Totengräber in die Sakristei, doch der Mann war nirgendwo zu sehen. Nun, er hatte die Glocke früher oft genug selbst geläutet und konnte es auch diesmal tun. Er entledigte sich seines abgetragenen Überrocks und ergriff das Seil mit beiden Händen.
    Es war harte Arbeit, und seine Hände waren weich. Einst hatte es ihm Spaß gemacht, doch inzwischen schien sein Blut zu dünn, um den nötigen Sauerstoff aufzunehmen. Als er fertig war, schwindelte ihn, und das Hemd klebte ihm naß am Rücken.
    Gleich darauf begann das Telefon in der Sakristei aufgeregt zu bimmeln. Er eilte hin, nahm keuchend den Hörer ab und hörte Nellies angstschrille Stimme. »Reverend, was ist los? Warum läutet die Glocke?«
    »Zur Abendandacht natürlich«, sagte er erstaunt. »Was sonst?«
    »Heute abend? Also, das ist doch…« Sie legte auf.
    Er zündete die Altarkerzen an, daß man den Lichtschein von der dunklen Straße aus sehen konnte, dann setzte er sich, um zu warten, und überlegte, wo der Orgelspieler blieb.
    Von der Straße drangen gedämpfte Rufe und nervöse Stimmen herein. Ein Wagen sprang an und fuhr davon, ein weiterer folgte. Dann fuhren mehrere nacheinander vorbei, und Amos ging zur Tür, um hinauszuschauen und die kühlere Abendluft zu genießen. Überall entlang der Straße schleppten die Leute ihre Habseligkeiten aus den Häusern und beluden ihre Wagen, während andere, die eher damit angefangen hatten, schon davonfuhren. Sie winkten ihm zu, hielten aber nicht an. Das Telefon läutete wieder, aber er beachtete es nicht.
    Er kehrte zum Altar zurück und kniete davor nieder. In seinen Gedanken war kein bestimmtes Gebet. Er faltete einfach die knochigen Hände, kniete und blickte zum äußeren Symbol seines Lebens auf. Draußen dauerten die Geräusche des Aufbruchs an und verschmolzen miteinander. Es war nicht wichtig, ob an diesem Abend jemand in die Kirche kam. Sie war offen, wie es sich in Notzeiten für das Haus Gottes geziemte. Er hatte längst aufgehört, jenen die Religion aufzudrängen, die nicht dafür bereit waren.
    Und allmählich begannen sich das Leid und die Trauer dieses Tages mit dem Gewebe seines Lebens zu verbinden und ein Teil von ihm zu werden. Er hatte gelernt, hinzunehmen und sich abzufinden; seit dem Tod seiner im Säuglingsalter gestorbenen Tochter gelang es ihm nie, dem Schmerz ein Ende zu machen, der so sehr ein Teil des Lebens schien. Aber er konnte ihn unter seiner Hingabe begraben und sein Los als den Willen des Herrn auf sich nehmen. Auch jetzt wieder war er bereit, zu tragen, was Gott ihm auferlegt hatte.
    Hinter ihm wurden leise

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