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Titan 05

Titan 05

Titel: Titan 05 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederik Pohl , Wolfgang Jeschke
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eingerissen und seine Festungen zerstört, und Jammer über Jammer bei Judas Tochter angehäuft.
    Und Seinen Altar hat der Herr verschmäht, Sein Heiligtum verworfen, in Feindes Hand gegeben die Mauern Seiner Burgen. Sie schrien in dem Haus des Herrn, als wär’s ein Feiertag.
    Klagelieder II, 4 ‐ 5, 7
     
    Amos’ erste Reaktion war unsinnigerweise Bestürzung über den Ruin seines einzigen guten Anzugs. Er wand und wälzte sich herum, bis er eine erträgliche Position gefunden hatte, aber das Blut war überall. Der Anzug eines Pfarrers mochte alt und fadenscheinig sein, aber mit Flecken wie diesen durfte er niemals einen Altar entweihen. So sorgte er sich, bis in ihm ein Gefühl für die Lächerlichkeit seiner Besorgnis erwachte und er sich entspannte, so gut er konnte.
    Er hatte getan, was er hatte tun müssen, und jegliches Bedauern kam zu spät. Er konnte nur noch die Folgen seines Handelns auf sich nehmen, wie er alles andere auf sich genommen hatte, was Gott ihm zugedacht hatte. Er war niemals ein besonders mutiger Mensch gewesen, aber die Stärke seines Glaubens hatte ihn in allen Leiden aufrecht gehalten. Sie würde ihm auch in Zukunft eine verläßliche Stütze sein.
    Doktor Miller hatte sich gleichfalls herumgewälzt, so daß sie einander von Angesicht zu Angesicht gegenüberlagen. Er schenkte Amos ein schiefes Lächeln und murmelte: »Ich glaube, jetzt sind wir dran. Aber es wird nicht ewig dauern, und vielleicht sind wir alt genug, um schnell zu sterben. Sind wir einmal tot, werden wir es wenigstens nicht wissen, also hat es keinen Sinn, sich vor dem Sterben zu fürchten.«
    Wenn er damit beabsichtigt hatte, Amos zu einem Streitgespräch zu verleiten, so hatte er keinen Erfolg. Amos hielt diese Einstellung für eine völlig hoffnungslose Philosophie, aber wahrscheinlich war sie besser als keine. Sein eigenes Vertrauen in die Nachwelt ließ ein wenig zu wünschen übrig; er glaubte an die Unsterblichkeit und die Existenz von Himmel und Hölle, aber es war ihm nie gelungen, sich beide zu seiner eigenen Zufriedenheit vorzustellen.
    Nachdem weitere Leichen aufgeladen worden waren, machte der Wagen kehrt, offenbar um nach Clyde zurückzufahren. Amos und Doktor Miller war es inzwischen gelungen, sich inmitten der Toten aufzusetzen, so daß sie durch die Beobachtung der Vorgänge ringsum ihre eigene traurige Lage vergessen konnten. Amos zählte die Häuser, aber als sie zu seinem eigenen kamen, war es Miller, der die entscheidende Beobachtung machte. Er ächzte laut auf.
    »Mein Wagen!«
    Amos spähte durch das ungewisse Licht zum Haus hin. Der Wagen des Arztes stand mit offener Tür in der Einfahrt. Jemand mußte Anne gesagt haben, daß er und Miller im Ort geblieben waren, und so war sie umgekehrt, ihn zu retten!
    Er begann zu beten, daß die fremden Soldaten nicht auf den Wagen aufmerksam werden möchten, und zuerst schien es, als sollte sein Gebet Erhörung finden. Dann aber sah er Annes blasses Gesicht am Wohnzimmerfenster. Sie mußte den Doktor und ihn auf dem Leichenwagen sitzen sehen, denn nun waren sie unmittelbar dem Haus gegenüber.
    Einen Augenblick später bestätigte sich seine Befürchtung. Die Haustür sprang auf, und Anne erschien in der Öffnung, Richards Jagdgewehr in den Händen.
    Amos sah, daß die Fremden sie noch nicht gesehen hatten, und schüttelte heftig den Kopf, um Anne vor Dummheiten zu bewahren, aber es war zu spät. Sie zielte und feuerte auf den nächstbesten Soldaten der Begleitmannschaft, setzte das Gewehr ruhig ab und lud nach, während der Getroffene sich schreiend auf der Straße wälzte.
    Der Wagen hielt mit einem Ruck, und der Führer der Begleitmannschaft riß ein röhrenartiges Ding aus einem Futteral an seiner Seite. Eine kurze, scharfe Explosion folgte, und Anne taumelte zurück, als das schwere Geschoß sie in die Stirn traf. Sie war tot, bevor sie im Hauseingang auf den Boden schlug. Das Gewehr fiel klappernd auf die Stufen.
    Der verwundete Soldat versuchte fortzukriechen, aber zwei seiner Gefährten gingen ihm nach und erschlugen ihn unbarmherzig, als ob er auch ein Mensch wäre. Sein Leichnam wurde mit Annes ein paar Meter vor den Gefangenen auf den Wagen geworfen, und die Fahrt ging weiter. Amos schloß erschöpft die Augen. Ihr Tod war so nutzlos gewesen, aber er konnte sich ihr Verhalten nicht mit ihrer gewohnten Neigung zur Hysterie erklären. Wegen dieser Neigung zu Kopflosigkeit hatte er Richard von der Ehe abgeraten, nicht wegen des Glaubensunterschieds.

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