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Titan 17

Titan 17

Titel: Titan 17 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald M. Hahn , Wolfgang Jeschke
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verbindet eine Klinke mit einer Tür – das Öffnen eines Tors ist für ihn eine völlig andere Angelegenheit.
    Im Augenblick einer herannahenden Gefahr hatte Burl eine Entdeckung gemacht. Das war nicht außergewöhnlich. Aber kaltblütig über etwas nachzudenken, wie er es momentan tat, daß das Öl, wenn er es auf seine Fußsohlen schmierte, den Klebstoff neutralisierte und er ohne Schwierigkeiten würde weitergehen können – das war ein Triumph. Erfindungen, die von Primitiven gemacht werden, haben ihre Ursache meist darin, daß sie über Leben und Tod entscheiden, oder Nahrung und Sicherheit einbringen. Dinge der Bequemlichkeit und des Luxus entwickeln erst Intelligenzen höherer Ordnung.
    Burl, der sich nun in Sicherheit befand, hatte mit seiner Entdeckung dazu beigetragen, daß er bequemer gehen konnte. Was seine Entwicklung anbetraf, war dies der wichtigste Gedanke, den er in seinem Leben je gehabt hatte. Er rieb also seine Füße mit Fischöl ein.
    Obwohl das Problem, mit dem er gekämpft hatte, an sich winzig klein gewesen war, hatte die Lösung für Burl ein äußerst hartes Nachdenken erfordert. Dreißigtausend Jahre vor seiner Geburt hatte ein kluger Mann gesagt, daß Vernunft dadurch entstehe, daß man es lernte, seinen Geist zu trainieren und nutzbringend anzuwenden. Was Burls Stamm anbetraf, so war er bislang hauptsächlich damit beschäftigt gewesen, für die tägliche Nahrung zu sorgen und das pure Überleben zu üben. Zum Nachdenken hatte man keine Zeit. Burl war der erste Mensch seit vielen Generationen, der sich einfach unter einen Riesenpilz gesetzt und einen Gedanken logisch zu Ende gedacht hatte.
    Für Burl war die Entdeckung, daß die Ölschicht auf seinen Füßen ihn vor den kleinen scharfen Steinen beschützen würde, ein ebensolcher Triumph des Intellekts wie die Erschaffung eines künstlerischen oder technischen Meisterwerks dreißigtausend Jahre vor seiner Zeit. Er war im Begriff, das Denken zu erlernen.
    Burl stand auf, machte ein paar Schritte, jauchzte vor Freude, und blieb dann, von seiner eigenen Intelligenz beeindruckt, erneut stehen. Siebzig Kilometer von seinem Stamm entfernt, nackt, unbewaffnet und völlig unerfahren im Umgang mit Feuer, Holz oder irgendwelchen Waffen außer dem Spieß, mit dem er tags zuvor herumexperimentiert hatte, und nicht das geringste von der Existenz irgendwelcher Künste oder Wissenschaften ahnend, hielt Burl inne, um sich selbst zu versichern, welch großartiger Bursche er doch war.
    Er war stolz auf sich. Was hätte er doch dafür gegeben, das Öl auf seinen Füßen und den Spieß Saya zu zeigen. Aber den Spieß hatte er nicht mehr.
    Mit wachsendem Glauben an die Nützlichkeit dieses neuen Zeitvertreibs setzte Burl sich auf der Stelle wieder hin und runzelte die Stirn. So wie ein abergläubischer Mensch, der davon überzeugt ist, daß sein Talisman ihm den rechten Weg weisen wird und er ohne ihn verloren ist, ließ Burl sich auf den Boden plumpsen, um nachzudenken.
    Die Fragen, die ihn bewegten, waren leicht zu beantworten. Burl war nackt. Er würde sich irgendwas suchen, mit dem er sich bedecken konnte. Er hatte keine Waffe mehr. Also würde er sich einen neuen Spieß besorgen. Er war hungrig. Etwas zu essen würde er schon finden. Er war weit von seinem Stamm entfernt – also würde er zu ihm zurückkehren. Mochten dies auch nicht besonders hochfliegende Gedanken sein – sie hatten ihren Wert, weil sie vernünftig waren, bewußt in seinem Geist entstanden, ihn aus seinen Schwierigkeiten herausführten und langsam dazu übergingen, ihm auf sein Verlangen hin auch eine Lösung aufzuzeigen.
    Nicht einmal in den vergangenen Zeitaltern hatte jeder gelernt, seinen Grips richtig einzusetzen. Die große Mehrheit der Leute war von Maschinen abhängig gewesen und hatte ihre Führer für sich denken lassen. Burls Stammesgenossen dachten in der Regel nur mit dem Bauch. Was ihn jedoch selbst anging, so war er dabei, sich schrittweise weiterzuentwickeln. Seine Denkweise prädestinierte ihn dazu, die Führungsrolle in seinem Stamm einzunehmen, und das war ein unschätzbarer Fortschritt.
    Er stand auf und richtete den Blick auf den Fluß. Langsam und vorsichtig, mit den Augen ständig das Gelände sichernd und die Ohren gespitzt, um jeden Laut einer potentiellen Gefahr zu erkennen, machte er sich auf den Weg. Riesige bunte Schmetterlinge schwangen sich über ihm durch die dunstige Luft. Hin und wieder schoß ein Grashüpfer wie ein Projektil davon, dessen

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