Titan 3
Decke ein Bildschirm angebracht.
Vor langer Zeit war – vielleicht durch eine Bewegung des Erdbodens – ein Wasserrohr undicht geworden. Durch den winzigen Riß mochte Wasser ausgetreten sein und hatte den Boden aufgeweicht. Es roch nach Moder und Schimmel. Auch die Duschanlage funktionierte offensichtlich nicht mehr, und der Bewohner des Raums hatte entweder Angst, Fremde zum Reparieren des Schadens hereinzulassen, oder es war ihm längst gleichgültig geworden.
Auf dem Boden lag verfaulende Nahrung, lagen leere Verpackungen und andere Abfälle. Als die Braut das Zimmer betrat, stoben ganze Schwärme von Schaben davon und Ratten huschten in die Winkel.
Die Braut zog den langen Seidenrock über die Hüften hoch. Sie wickelte eine dünne Nylonschnur von ihrer Taille ab. An einem Ende war die Schnur zu einer Schlinge geknüpft. Sie schüttelte die Schnur aus, so daß die Schlinge offen herunterhing.
Dann blickte sie auf, um nach Weaver zu sehen. Sie hatte bereits beim Hereinkommen bemerkt, daß er seinen Bildschirm mit fast hypnotischer Faszination anstarrte. Pearce sprach immer noch mit ihm. »Das Altern ist keine körperliche Krankheit, sondern eine geistige. Der Geist wird müde und läßt den Körper sterben. Die Immunität der Cartwrights gegen den Tod liegt nur zur Hälfte an ihrem Blut; die andere Hälfte steuert ihr unbeugsamer Lebenswille bei.
Sie sind einhundertdreiundfünfzig Jahre alt, Weaver. Ich habe Ihren Vater behandelt, der vor Ihrer Geburt starb. Ohne es zu wissen, gab ich ihm eine Transfusion von Marshall Cartwrights kostbarem Blut.«
Weaver flüsterte erschrocken: »Aber dann… dann müssen Sie ja…« Seine Stimme war dünn und brüchig geworden und klang nicht mehr wie die eines dämonischen Gottes. Angesichts seiner gewaltigen Fleischmassen wirkte diese Stimme lächerlich.
»Fast zweihundert Jahre alt sein«, ergänzte Pearce für ihn. Seine Stimme klang nun stärker, voller, tiefer – sie flüsterte nicht mehr. »Und zwar ohne jemals eine Transfusion von Cartwright-Blut erhalten zu haben. Ohne Lebenselixier. Der Verstand kann, wenn er will, bewußt die Kontrolle über das autonome Nervensystem erlangen, kann die Zellen beherrschen, aus denen Blut und Körper bestehen.«
Die Braut reckte den Hals, um den Bildschirm an der Decke sehen zu können. Pearce sah auf einmal ganz anders aus. Er war größer geworden, seine Beine gerade und muskulös. Seine Schultern waren breiter. Vor den Augen der Braut entwickelten sich Muskeln und Fettgewebe unter der Haut, strafften sie, glätteten die Falten. Seine Gesichtsknochen verschwanden unter jungem Fleisch, junger Haut. Sein seidiges weißes Haar wurde voll und dunkel.
»Sie wundern sich wohl, warum ich alt geblieben bin«, sagte Pearce, und seine Stimme war klangvoll und kräftig. »Dies ist eine Gabe, die man nicht für sich selbst ausnützt. Sie kommt vom Geben, nicht vom Nehmen.«
Seine eingesunkenen Lider wurden voll, strafften sich, hoben sich. Und dann blickte Pearce Weaver voll ins Gesicht – ein starker, großer, hochaufgerichteter Mann, der kaum älter als dreißig sein konnte. In seinen Zügen lag eine geheime Macht – eine beherrschte, unterdrückte Macht, vor der Weaver zurückwich.
Dann tauchte auf einmal Marna auf dem Bildschirm auf.
Weavers Augen spiegelten Entsetzen und Fassungslosigkeit wider. Sein Blick irrte zu der Braut hinüber. Harry warf den Schleier ab und wirbelte die Nylonschlinge behutsam mit zwei Fingern herum. Auf seine nächste Bewegung kam alles an. Der erste Wurf mußte treffen, denn wahrscheinlich bekam er nie Gelegenheit für einen zweiten. Seine Chirurgenfinger waren geschickt, aber er hatte nie eine Lassoschlinge geworfen. Christopher hatte ihm beschrieben, wie man es machte, aber er hatte keine Möglichkeit zum Üben gehabt.
Wehe, wenn er in die Reichweite dieser mächtigen Arme gezogen wurde! Eine kurze Umarmung würde ihn erdrücken.
Genau in diesem Augenblick zuckte Weavers Kopf erschrocken hoch, seine Hand fuhr zur Konsole. Harry warf die Schnur. Die Schlinge fiel glatt über Weavers Kopf und zog sich um seinen Hals zusammen.
Hastig wickelte Harry die Schnur mehrmals um seine Hand und zog sie mit einem heftigen Ruck fest. Weaver stemmte sich dagegen, wodurch sie nur noch fester zusammengezogen wurde. Die dünne Schnur grub sich in das weiche Fleisch seines fetten Halses. Weaver versuchte, seine plumpen Finger darumzukrallen, kratzte die Haut auf. Verzweifelt warf er sich auf seiner Matratze hin
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