Titan 5
stimmte ihn um. Als Amos im fahlen Sternenlicht die Dorfstraße hinunterwanderte, saß er auf den Stufen vor seinem Krämerladen, das Gewehr auf den Knien und den Hund neben sich.
Nach dem ersten Kilometer besserte sich Amos’ Befinden unerwartet. Ruhe und Nahrung, dazu eine einfache Behandlung seiner wundgelaufenen Füße, hatten geholfen. Aber die innere Stimme trieb ihn jetzt schärfer an, und das Bild des alten Mannes schien ihm zusätzliche Kräfte zu verleihen. Am Dorfausgang nahm er den Feldweg, der nach Auskunft des Krämers nach Wesley hinüberführte, und schritt so schnell aus, wie er durchhalten zu können meinte.
Kurz nach Mitternacht sah er die abgeblendeten Lichter einer Fahrzeugkolonne auf einer anderen Straße. Er hatte keine Ahnung, ob es sich um eigene Truppen oder solche der Invasoren handelte, setzte seinen Marsch jedoch unbeirrt fort. Ein anderes Mal hörte er Motorengeräusch aus einer anderen Richtung, das er ebensowenig zu deuten wußte; aber er sah, daß er sich Wesley näherte, und neue Hoffnung beflügelte seinen Schritt.
Als der Morgen graute, suchte er keinen Unterschlupf. Er sah das trockene, von Erosion gezeichnete Land, das er so gut kannte, die bröckelnde braune Erde, die vom Wind als Staub fortgetragen wurde.
Nicht ein Akt Gottes hatte diesen Niedergang und diese Verwüstung verursacht, sondern die Geldgier und die kurzsichtige Unvernunft der Menschen, die jede Baumgruppe und jede Hecke gerodet und jedes Wasserloch zugeschüttet hatten, um Anbauflächen zu gewinnen und sie für bequeme maschinelle Bearbeitung besser geeignet zu machen. Wenn sie sich rechtzeitig eines Besseren besannen, konnten die Menschen den Schaden noch wiedergutmachen – auch ohne Gottes Hilfe.
Gott hatte die Menschheit verlassen. Aber sie war nicht stehengeblieben, hatte auf eigene Faust den Weg zum Mond gefunden und die Gewalt des Atoms unter ihre Kontrolle gebracht. Nun hatte sie ein Mittel gefunden, diese Gewalt gegen die fremden Eindringlinge zu gebrauchen, obwohl gegen sie selbst Wunder eingesetzt wurden. Alles hatte der Mensch gelernt, nur sich selbst zu bezwingen, war ihm nie gelungen. Auch das würde er lernen, dachte Amos, wenn man ihm Zeit gab.
An einer Kreuzung stieß Amos auf einen haltenden Lastwagen, dessen Fahrer sich eben erleichterte, und als er sich vorsichtig näherte, sah er, daß der Fahrer ein Mensch war. Er beschleunigte seine Schritte und erreichte den Wagen, als der Mann eben einsteigen und weiterfahren wollte. »Ich will nach Wesley. Können Sie mich mitnehmen?«
»Klar, steigen Sie ein.« Der Mann half ihm ins Fahrerhaus. »Ich will selbst nach Wesley. Sie sehen wirklich aus, als hätten Sie eine Behandlung bei der Notarztstation nötig. Ich dachte, inzwischen hätten wir alle Versprengten eingesammelt. Die meisten kamen zurück, als sie die Nachricht über Clyde hörten.«
»Haben die Unsrigen es zurückerobert?« fragte Amos.
Der andere nickte. »Wir brauchten es bloß zu besetzen. Erwischten sie mit einer Atombombe, und dann gab es nur noch aufzuräumen. Von den Grünen waren nicht viele übriggeblieben.«
Bald erreichten sie den Ortsrand von Wesley, und Amos zeigte zu seinem Haus. »Wenn Sie mich dort aussteigen ließen…«
»Passen Sie auf, wir Fahrer haben Anweisungen, alle Versprengten zu den Notarztstationen zu bringen«, begann der Fahrer in entschiedenem Ton. Dann wandte er den Kopf und sah Amos an, zögerte einen Moment und gab nach. »Wie Sie wollen. Hat mich gefreut, Ihnen behilflich sein zu können.«
Amos ging ins Haus, ließ ein Bad einlaufen und stieg hinein. Er fühlte, daß seine Entscheidung getroffen war, obwohl er noch immer nicht genau wußte, wie sie ausgefallen war. Als er schließlich aus der Wanne stieg, fand er keinen Anzug, der ihm angemessen erschien, aber im Schrank waren saubere Kleider. Er griff zum Rasiermesser, und als er aufblickte, starrte ihm aus dem Spiegel sein abgemagertes, bärtiges Antlitz entgegen.
Er erschrak und trat einen Schritt zurück. Die Augen waren ihm fremd. Von dem, was in ihnen lag, hatte er nur einmal einen Schatten gesehen, in den Augen eines berühmten Predigers, aber dies war hundertmal stärker. Er riß seinen Blick von diesen Augen los und mied sie während der ganzen Rasur. Doch in ihm wuchs eine seltsame Befriedigung über das Gesehene. Er verstand auf einmal, warum der alte Mann ihm geglaubt hatte, und warum der Lastwagenfahrer seinem Wunsch nachgekommen war.
Die meisten Bewohner Wesleys waren
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