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Titan 5

Titan 5

Titel: Titan 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederik Pohl
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zurückgekommen, und auf den Straßen waren Soldaten zu sehen. Als er zur Kirche ging, sah er die geschäftige Notarztstation. Eine Kameramannschaft mit einem Übertragungswagen war da und machte Aufnahmen für das Fernsehen. Offenbar interviewten sie Leute, denen es nach der Bombardierung gelungen war, aus besetztem Gebiet zu flüchten.
    Ein paar Leute riefen ihm Grußworte zu, aber er ging weiter, bis er die Stufen vor dem Kirchenportal erreicht hatte. Die Tür lag noch in Trümmern, und die Glocke existierte nicht mehr. Amos stand still und wartete, ließ seinen Gedanken Zeit, sich einzustimmen, während er die Leute betrachtete, von denen ihn mehr und mehr erkannten und stehenblieben. Die Nachricht von seiner Rückkehr verbreitete sich wie ein Lauffeuer im Ort. Dann sah er die kleine Angela Anduccini und bedeutete ihr, zu ihm zu kommen. Sie folgte ihm in die Kirche und setzte sich an die Orgel.
    Als die ersten Töne eines Choralvorspiels durch den Kirchenraum schwebten, stieg Amos zur Kanzel hinauf und hörte wieder das altvertraute Knarren der Stiegenbretter unter seinen Füßen. Er legte die Hände auf die Brüstung und sah die dicken Knöchel und die blauen Adern des Alters, als er die staubige Bibel aufschlug und seine Predigt vorbereitete. Er reckte die Schultern und wandte sich den Kirchenbänken zu, wartete geduldig auf die Schäflein seiner Gemeinde.
    Zuerst waren es nur wenige, doch dann kamen mehr und mehr, einige aus alter Gewohnheit oder weil sie die Orgel hörten, andere aus Neugierde, und viele, nur weil sie gehört hatten, daß er im besetzten Gebiet gewesen war, wahrscheinlich als Gefangener der Invasoren. Die Kameramannschaft kam herein und stellte neben dem Eingang ihre Geräte und Jupiterlampen auf, überflutete ihn mit grellem Licht und stellte das Teleobjektiv ein. Er lächelte den Männern zu und nickte aufmunternd.
    Er wußte jetzt seine Entscheidung. Sie war ihm stückweise zugefallen, und er verdankte sie Kant, der sein Leben mit der Suche nach einem grundlegenden ethischen Prinzip verbracht und dieses auf die Formel gebracht hatte, daß Menschen als Zweck an sich behandelt werden sollten, nicht als Mittel zu einem Zweck. Auch Doktor Miller hatte ihm dabei geholfen, und der alte Dorfkrämer.
    Es gab keine Worte, mit denen er seine Botschaft den Wartenden hätte mitteilen können; kein Redner hatte jemals eine solche Sprachgewalt besessen. Aber Menschen von einfacher Sprache und begrenztem Horizont hatten die Welt schon früher in Bewegung gesetzt. Moses war mit leuchtendem Antlitz vom Berg Sinai herabgestiegen und hatte die Zweifel eines wankelmütigen und unzuverlässigen Volkes überwunden. Die irischen Mönche des beginnenden Mittelalters hatten in undankbarer und gefahrvoller Arbeit als Prediger und Eremiten halb Europa bekehrt, ohne Radio und Fernsehen. Nein, mit Worten oder einer Stimme war es nicht getan.
    Er ließ den Blick über die Gemeinde schweifen, und als die Bankreihen gefüllt waren, nickte er Angela Anduccini zu, und die Orgel verstummte.
    »Mein Text für heute«, verkündete er, und das Gemurmel unter ihm machte erwartungsvoller Stille Platz, »lautet: ›Ihr sollt die Wahrheit wissen, und die Wahrheit soll die Menschen befreien!‹«
    Er hielt inne und fühlte die Entscheidung in seinem Bewußtsein, wußte, daß er keine andere treffen konnte. Hier wurde er gebraucht, von denjenigen, denen zu dienen er immer versucht hatte, in dem Glauben, er diene Gott durch den Dienst an ihnen. Nun sah er sie als einen Zweck, nicht als ein Mittel dazu, und er fand es gut.
    Noch konnte er sie jetzt belügen und mit falschen Hoffnungen täuschen. Wenn sie ihrem kleinlichen Gezänk ein Ende machen und sich im Ringen um menschliche Vervollkommnung zusammenschließen sollten, dann mußten sie alle Tatsachen kennen.
    »Ich bin aus der Gefangenschaft der Eindringlinge zurückgekehrt«, begann er. »Ich habe die Horden gesehen, die nur den Wunsch haben, die Erinnerung an den Menschen vom Angesicht der Erde, die ihn getragen hat, auszutilgen. Ich habe am Altar ihres Gottes gestanden. Ich habe die Stimme Gottes sprechen hören, daß Er auch unser Gott ist, und daß Er uns verstoßen hat. Ich habe Ihm geglaubt, wie ich Ihm auch jetzt glaube.«
    Er spürte, wie er jenes seltsame, ungreifbare Etwas verströmte, das größer war als Predigtworte, und daß er es in seinen sehnsuchtsvoll erinnerten jüngeren Jahren niemals so intensiv verströmt hatte. Er sah Bestürzung und Zweifel in den

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