TITANIC-WORLD
sechsundvierzig Menschen ihrLeben verloren, bekamen es viele der übrigen Besucher der TITANIC-WORLD plötzlich mit der Angst zu tun. Die Atmosphäre schien sich schleichend zu verdichten. Zuerst bemerkte man die Veränderung auf der Brücke, da sich die TITANIC-WORLD vor der 3 D-Leinwand auf einmal nicht mehr steuern ließ. Allen Versuchen zum Trotz kollidierte das Schiff mit dem Eisberg. Dann, nach einer Weile sah man viele Menschen, die merkwürdig gehetzt über die Decks irrten. Sie flohen vor etwas; doch was es war, das blieb den Anderen verborgen. Manche strebten zielbewusst den beiden Treppenhäusern der ersten Klasse zu und die Erleichterung, wenn sie das Bootsdeck erreichten, stand deutlich in ihren Gesichtern geschrieben. Immer wieder hörte man überraschte oder erschrockene Ausrufe; mal von Passagieren , die den Aufstieg nicht fanden, doch zumeist von den Schauspielern, die – wie aus dem Nichts herbei gezaubert – urplötzlich der historischen Persönlichkeit gegenüberstanden, die sie verkörperten. Hier und da brachen Besucher scheinbar grundlos in Tränen aus, da ein unbeschreibliches Gefühl der Hoffnungslosigkeit sie zu überwältigen drohte. Auch im Marconiraum stand nicht alles zum Besten. Der Strom wurde von Minute zu Minute schwächer, während seltsame Funksignale den beiden Marconisten Schauer über den Rücken jagten – wie war es möglich, mit der FRANKFURT oder der CARPATHIA zu kommunizieren? Beide Liner existierten nicht mehr! Doch die beiden Schauspieler, die Jack Phillips und Harold Bride darstellten, hörten deutlich die Anfragen der Schiffe, so, wie die Geschichte sie überliefert hatte.
Claire, die lange Zeit nichts ahnend an ihrem Schreibtisch saß, trauten ihren Augen nicht, als die Kaffeetasse, ohne ersichtlichen Grund, langsam in Richtung Kante rutschte und mit einem lauten Klirren am Boden zerschellte. Derart alarmiert sprang sie auf und verließ ihr Büro. Als sie die Treppe hocheilte, keimte in ihr der Verdacht auf, dass irgendetwas nicht stimmte. Doch erst, als sie den zweiten Absatz in Angriff nahm und beinahe gestürzt wäre, wusste sie, was es war – die TITANIC-WORLD neigte sich nach vorne. Panik schoss in ihr hoch. Es musste ein Leck auf dem G-Deck geben. So schnell es ging, stürmte Claire die Stufen wieder hinunter. Zweimal stolperte sie und wäre fast gefallen. Einmal glitt sie sogar aus und nur ihrer raschen Reaktion war es zu verdanken, dass sie nicht stürzte. Gerade, als sie zum untersten Deck hinab steigen wollte, fühlte sie das Schiff erbeben. Claire klammerte sich am Geländer fest; die Augen in grenzenlosem Erschrecken weit aufgerissen. Dutzende, zum Teil ärmlich gekleidete Menschen, kamen die Treppe hinauf. In fassungslosem Entsetzen ließ sie los und taumelte ein Stück zurück. Da neigte sich der Boden unter ihren Füßen. Claire verlor den Halt. Mit einem Aufschrei kippte sie nach vorne und schlug sich so heftig den Kopf an, dass sie fast die Besinnung verlor. Warmes Blut floss sofort über ihr Gesicht. Mit Tränen in den Augen kämpfte sie sich hoch und schwankte auf die Treppe zu – nur weg hier, war alles, was Claire denken konnte!
Nathan saß im Rauchsalon und verfolgte seit einer Viertelstunde mit größter Verwunderung, wie zahlreiche Besucher zuerst unruhig wurden, bevor sie schlagartig und überaus nervös den Raum verließen. Als Craig kurz darauf zu ihm kam, war der Rauchsalon – bis auf vier Herren die Bridge spielten – leer. Im Ausdruck seines Neffen lag maßloses Erstaunen, als er Nathan berichtete, dass sich kaum noch jemandin den Ausstellungsräumen befand, in den Treppenhäusern aber ein Gedränge herrschte, wie freitags nachmittags auf der M1. Es blieb ihnen nicht einmal mehr die Zeit sich darüber zu wundern, denn urplötzlich bäumte sich die TITANIC-WORLD auf. Tische und Lederfauteuilles kippten um. Hinter der imposanten Bar aus poliertem Edelholz purzelten die Flaschen aus dem hohen Spiegelregal und zersplitterten in einem Crescendo von berstendem Glas am Boden. Keith, der Chefsteward des Rauchsalons , konnte nicht schnell genug entkommen – eine Flasche Remy Martin traf ihn am Kopf und warf ihn zu Boden. Unzählige Glassplitter zerschnitten ihm Hände und Knie. Nathan kippte samt Sessel nach vorne, blieb aber unverletzt. Auch Craig verlor das Gleichgewicht. Er stieß sich die Ellbogen an und prellte sich den Rücken. Ein Steward wurde von der Bronzestatuette, die auf dem Kaminsims stand, lebensgefährlich am Kopf verletzt,
Weitere Kostenlose Bücher