TITANIC-WORLD
Herren zusteigen zu lassen, wenn sie es wünschen. So ist sicher gestellt, dass alle gutsituierten weiblichenPassagiere und Kinder gerettet werden; die Herren jedoch können ihre eigene Entscheidung als Gentlemen treffen.“
Thomas Andrews unterbrach sich für einen Moment. Das, was er noch zu sagen hatte, ließ sein Herz schmerzhaft pochen. Mit einer fahrigen Bewegung wischte er sich über die Stirn. Gottlob, wären seine eigene Gemahlin und die kleine Tochter an Bord, so würden sie erster Klasse reisen. Er verscheuchte die bitteren Gedanken, die in ihm aufzukeimen drohten und fuhr traurig fort: „Im Zwischendeck sollten wir, wie folgt, verfahren: Auch dort sollen die Stewards alle Reisenden wecken und ihnen befehlen, mit angelegten Rettungswesten in den Treppenaufgängen auf weitere Order zu warten. Die Gitter sollen so lange vorgezogen und verschlossen bleiben, bis der größte Teil der ersten und zweiten Klasse das sinkende Schiff verlassen hat. Dann können wir langsam beginnen, kleine Gruppen von Zwischendeckpassagieren nach oben zu führen. Ich denke, zum Schutze der oberen Klassen, ist es erforderlich, jeweils zwei Stewards vor allen Türen zu postieren, um diese Menschen, hm … ruhig zu halten. In den unteren Decks wird man schon bald den Ernst der Lage erkennen und so ist anzunehmen, dass die Zwischendeckpassagiere versuchen werden, die Absperrungen zu durchbrechen. Die Anwesenheit der Stewards wird das, zumindest eine zeitlang, verhindern und wir müssen nicht fürchten, dass diese Menschen zu früh auf das Bootsdeck gelangen.“
Als Thomas Andrews geendet hatte, senkte sich Stille über die Brücke. Captain Smith stand reglos da und in seinem Gesicht spiegelte sich deutlich die Betroffenheit wieder, die er empfand. J. Bruce Ismay zündete sich eine weitere Zigarette an, bevor er aufseuzfte. „Nun, Gentlemen“, erklärte er und die Erleichterung, die er empfand, schwang vernehmlich in seiner Stimme mit. „In Anbetracht der Umstände scheint Mr. Andrews Vorschlag der Beste zu sein. – Captain Smith, wenn Sie nun so freundlich wären und die diesbezüglichen Order erteilen.“
„NIEMALS!“ Die Starre, die ihn nach den Worten Thomas Andrews befallen hatte, begann langsam zu weichen. „Sie verlangen das Unmögliche, Mr. Ismay. Diesen Befehl werde ich niemals geben. NIEMALS!“
„Captain Smith“, antwortete Ismay arrogant. „Meine Geduld ist erschöpft. Sie werden jetzt augenblicklich meiner Anordnung Folge leisten, oder ich lasse den Schiffsprofos holen und Sie unter Arrest stellen. Das ist mein letztes Wort in dieser Angelegenheit!“
„Mr. Ismay“, klang es laut und verächtlich zurück. „Wenn ich den Befehl nicht geben darf, ALLE Frauen und Kinder zu retten, so werde ich gar keinen geben! Ich werde nicht vor meinen Schöpfer treten, in dem Wissen, vorsätzlich 710 Menschen mutwillig ersäuft zu haben! Sie, meine Herren, mögen Ihr eigenes Gewissen befragen und die Verantwortung übernehmen! Das ist mein letztes Wort in dieser Angelegenheit!“
Damit verließ Captain Smith die Brücke. Mr. Ismay stand sprachlos da. Solch‘ eine Unverschämtheit war ihm im Leben noch nicht untergekommen. Fast bedauerte er, dass er seinen besten Kapitän – in Anbetracht der Umstände – nun nicht mehr mit Schimpf und Schande entlassen konnte. Er wollte sich gerade bei Thomas Andrews darüber beschweren, als dieser ihm zuvor kam und mit leiser Stimme sagte: „CaptainSmith ist ein weiser Mann. Ich schäme mich, dass ich diesen Vorschlag überhaupt unterbreiten konnte. – Mr. Ismay, leben Sie wohl. Ich werde zu den Booten gehen und sehen, ob ich den Offizieren behilflich sein kann.“
Völlig verblüfft starrte J. Bruce Ismay der untersetzten Gestalt des Chefkonstrukteurs nach. Dann, mit einem leisen Achselzucken, verließ auch er die Brücke. Es gehörte nicht zu seinen Obliegenheiten Befehle zu erteilen – er war schließlich nur der Reeder!
Wie in einem Alptraum gefangen – den Rücken gegen die Außenwand der Brücke gepresst, die Augen fest geschlossen – stand Gareth da. Entsetzen hüllte ihn, wie einen Stahlmantel ein. Sein Verstand weigerte sich zu glauben, dass die Szene, deren Zeuge er soeben geworden war, den wirklichen Ereignissen jener dunklen Aprilnacht entsprach. Es war zu grausam, zu menschenverachtend, als das es je geschehen sein konnte. Langsam, wie in Zeitlupe, wandte Gareth sich um und warf einen Blick durch das Fenster. Die Brücke lag jetzt einsam und verlassen da; nur der
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