TITANIC-WORLD
Telemotor, an dem das Steuerrad befestigt war, glänzte matt im Sternenlicht. Gareth wandte den Kopf. Auf dem Bootsdeck drängten sich mittlerweile die Menschen und er ging langsam auf die Menge zu. Die TITANIC musste schon tief im Wasser liegen, denn das Deck unter seinen Füßen hatte bereits einen beachtlichen Neigungswinkel. Hier und da hörte er den verzweifelten Aufschrei einer Frau und als er einen Blick über die Reling warf, sah er, dass bereits viele Boote auf dem nächtlichen Atlantik trieben. Da wurde Gareth bewusst, dass das Schiff sich nicht mehr lange über Wasser halten konnte und Angst kroch in ihm hoch. Als er bemerkte, dass die Davits, die er passierte, bereits leer waren, beschleunigte er seine Schritte. Plötzlich drang Musik an sein Ohr – leichte, fröhliche Melodien erfüllten die Nacht. Gareth blieb stehen. Während die heiteren Klänge über den Ozean schallten, versuchten verzweifelte Passagiere einen Platz in einem der letzten Rettungsboote zu bekommen. Langsam machte sich Panik breit, als der Bug ganz unter Wasser gedrückt wurde und sich die Decks immer steiler aufrichteten – Zentimeter um Zentimeter; beängstigend, unaufhaltsam! Er sah die Angst in den Gesichtern, die Verzweiflung, den Trennungsschmerz, wenn Ehemänner ihre Frauen, recht unsanft oft, in die Boote setzten. Es schnitt ihm ins Herz, als er bemerkte, dass diese Männer dann stoisch zurücktraten und tapfer ihren Frauen und Kindern hinterher winkten. Unerträglich aber war ihm mit ansehen zu müssen, dass dieselben Männer, sobald das Boot außer Sichtweite war, aller Mut verließ und sie in sich zusammensackten. Mit einem Male reichte es Gareth. Ohne über etwaige Folgen für die anderen Teilnehmer nachzudenken, streifte er sich die Handschuhe ab und zog mit einem Ruck die CAT-Specs von der Nase.
Das, was er sah, ließ sein Blut in den Adern gefrieren! Ungläubig schüttelte er den Kopf. Mit fliegenden Händen setzte er die CAT-Specs wieder auf und riss sie sofort wieder herunter. Das Bild veränderte sich nicht – altmodisch gekleidete Menschen standen auf dem abschüssigen Deck der TITANIC und kämpften ums Überleben. Gareth stieß einen Schrei aus. Nein! Nein! NEIN! Maßloses Entsetzen packte ihn, als er das Unmögliche zu begreifen versuchte! „Scheiße!Scheiße!Scheiße“, murmelte er fieberhaft vor sich hin. „Ich kann’s nicht fassen! Das ist nicht wirklich! Das kann nichtsein! Was für eine beschissene, abgefahrene Nummer geht hier ab?“
„Was sagst du da, Bürschen? Abge … was?“
Gareth wandte den Kopf und blickte geradewegs in das Gesicht eines grobschlächtigen Matrosen. Der musterte ihn so drohend, dass Gareth die Lebensgefahr, in der er schwebte, für den Moment vergaß. Doch bevor er reagieren konnte, schnauzte der Seemann ihn an: „Drückst dich wohl vor der Arbeit, was, Bürschchen? Los, runter mit dir! Die Jungs ihm Marconiraum brauchen Strom! Ab in die Kesselräume mit dir, Bürschchen!“
Eine riesige Pranke packte Gareth im Genick und zog ihn zu einer Eisentreppe, die in die unendliche Tiefe des Schiffes führte. Mit letzter Kraft bäumte er sich auf. Er versetzte dem Matrosen einen so derben Stoß in die Seite, dass der ihn überrascht los ließ. Mit dem Mut der Verzweiflung ballte Gareth die Fäuste und schrie: „Na, los, Arschloch! Bringen wir es hinter uns! Die TITANIC sinkt und nichts kann das ändern! Mehr als fünfzehnhundert Menschen werden elendig absaufen und du Volltrottel hast nichts Besseres zu tun, als eine Prügelei anzufangen!! Los, komm schon her und schlag mich, du Riesenarsch! Dann hab ich’s wenigstens hinter mir!“
Statt einer Antwort begann der Matrose zu lachen. Er schlug sich mit den Händen auf die Schenkel und lachte. Aber es war kein föhliches Lachen; es klang schadenfroh. Gareth ließ den Kopf hängen. Als er ihn wieder hob, war der Matrose verschwunden.
Merkwürdigerweise hatte die Auseinandersetzung bewirkt, dass die Panik von Gareth abgefallen war und er jetzt wieder klar denken konnte. Ich werde zusehen, dass ich in die Nähe von Boot 4 gelange, überlegte er, all sein Wissen über die TITANIC nutzend, um gerettet zu werden. Boot 4 war das letzte reguläre Rettungsboot, das das Schiff um 1.55 Uhr verließ und es hat, bevor es von der Unglücksstelle weggerudert ist, noch fünf Besatzungsmitglieder aus dem Wasser gefischt. Ich muss aufpassen, dass ich einer von ihnen bin. Mit diesen Gedanken setzte er sich erneut in Bewegung. Genau in dem Moment
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