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Euch dafür im voraus im Namen aller Eurer Gäste und in dem meinigen. Wer nicht geht und sich das Frühstück holt, bekommt keines – damit ist die Sache abgemacht. Also, wer mich lieb hat, der folge mir.« Und die Direktrice der Pension, welche Mistreß Colman hieß, lenkte, mit ihrem Beispiele vorangehend, ihre Schritte nach demHause, während sämtliche Pensionärinnen ihr folgten, mit Ausnahme der drei, welche direkt oder indirekt das Wort an mich gerichtet hatten.
Einen Augenblick später kam Mistreß Colman aus dem Hause heraus. In der einen Hand hielt sie einen Korb voll Eier, in der andern einen großen Krug mit dampfender Milch. Die beiden Lehrerinnen kamen hinter ihr her, und trugen ebenso wie sie einen Krug Milch und einen Korb Eier. Die Pächterin und meine Mutter folgten mit zwei riesigen, soeben aus dem Ofen gekommenen Broten mit brauner appetitlicher Rinde. Jede der Pensionärinnen trug ihren Teller, ihre Gabel, ihr Messer und ihren Löffel. Alle setzten sich auf den Rasenplatz um Mistreß Colman und ihre beiden Lehrerinnen herum. Nur die drei Rebellen bildeten, stehen bleibend, eine Gruppe für sich. »Mistreß Davidson,« sagte ich zu der Pächterin, »wollt Ihr mir sechs Eier in einem kleinen Korb, einen Krug Milch und drei Tassen geben?« Sie erriet meine Absicht, küßte mich auf die Stirn und gab mir, was ich von ihr verlangte. Mit meinem kleinen Korbe, meinem Kruge Milch und meinen drei Tassen trat ich aus dem Hause heraus und ging auf die drei Verbannten zu. »Meine jungen Damen,« sagte ich zu ihnen, »wollen Sie mir verzeihen, daß ich die Ursache der Strafe bin, zu welcher man Sie verurteilt hat?« – »Wir danken,« sagte die größte der drei Schülerinnen, »wir haben keinen Hunger.« – »Emma,« sagte die Direktrice der Pension, »komm her, gib mir einen Kuß und setze dich neben mich. Du bist ein gutes kleines Mädchen.« – Ich setzte meinen Korb mit Eiern, meinen Krug Milch und meine drei Tassen zu den Füßen der drei Schmollenden nieder und nahm dann neben Mistreß Colman Platz. Sie hatte die Wahrheit gesprochen, ja ich war wirklich ein gutes kleines Mädchen. Ist es meine Schuld oder die der Welt, wenn ich das sündhafte Geschöpf geworden bin, welches jetzt vor dir, o mein Gott, das Knie beugt?
2. Kapitel.
Nach dem Frühstück, welchem die drei großen Pensionärinnen beiwohnten, ohne daran teilzunehmen, kehrten sämtliche junge Mädchen, von Mistreß Colman geführt, nach der Stadt zurück. AmMorgen, noch ehe mir das im vorigen Kapitel Erzählte begegnet war, wäre es mein größter Wunsch gewesen, noch denselben Tag und ohne Verzug in Mistreß Colmans Institut einzutreten und meinen Platz unter ihren Zöglingen einzunehmen. Mein Enthusiasmus hatte sich jedoch bedeutend abgekühlt und ich bat meine Mutter um die Erlaubnis, diese Nacht noch auf dem Pachthofe bleiben zu dürfen. Es ward demgemäß verabredet, daß sie mich erst den nächstfolgenden Morgen nach der Pension bringen sollte. Als Mistreß Colman, welche die Sinnesänderung, die in mir vorgegangen, bemerkte, und welche schon fürchtete, eine Schülerin zu verlieren, mich verließ, überhäufte sie mich mit Liebkosungen und bewog auch einige der kleinsten Schülerinnen, Freundschaft mit mir zu machen. Ich fühlte jedoch recht wohl, daß ich für diese jungen Damen nie etwas anderes sein würde, als das kleine Bauernmädchen, die Tochter der Magd des Pachthofes. Ich hebe diese auf den ersten Anblick vielleicht kindisch erscheinenden Umstände ganz besonders hervor, weil sie in Verbindung mit denen, von welchen ich später Gelegenheit haben werde zu sprechen, einen ungemein großen Einfluß auf mein Leben äußerten. Die Blumen verdanken ihren Glanz und ihren Wohlgeruch, die Früchte ihren Wohlgeschmack und ihre Schönheit nicht bloß der mehr oder minder geschickten und eifrigen Pflege des Gärtners, der sie zieht, sondern auch den atmosphärischen Verhältnissen, in welche der Zufall sie versetzt. Mein angeborener Fehler war der Stolz. Der darüber hinwegwehende Wind der Verachtung und des Spottes fachte, anstatt ihn auszulöschen, ihn nur zu desto hellerer Flamme an, und ebenso wie Satan, der anfangs der schönste und geliebteste Engel war, ging ich, die ich weiter nichts war als ein armes menschliches Geschöpf, durch meinen Stolz unter.
Als Mistreß Colman mit ihren Pensionärinnen fort war, lenkte ich meine Schritte nach dem Hügel, wohin ich drei oder vier Jahre lang meine kleine Herde getrieben. Dieser
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