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Tochter der Nacht

Tochter der Nacht

Titel: Tochter der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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auch«, sagte Tamino und wies auf das tote Ungeheuer. Der Mann machte vor Entsetzen einen Satz rückwärts. »Hilfe! Ist er tot?«
    Er versteckte sich hinter Tamino und spähte ängstlich zu dem Drachen hinüber. Da dieser sich nicht regte, faßte er Mut, ging auf ihn zu und warf sich prahlerisch in Pose.
    »Ha! Du glaubst doch nicht, ein Mann wie ich fürchtet sich vor einem Drachen«, rief er, »und vor einem so kleinen Drachen schon gar nicht! Du solltest erst einmal die richtigen Drachen sehen, die es hier gibt!«
    Tamino konnte sich nur mühsam das Lachen verkneifen. Die Gefahr war vorüber, und er sah, daß der Drachen nicht so groß war, wie er geglaubt hatte. Trotzdem war er größer als alles, wogegen er bisher gekämpft hatte und größer als alles, gegen das er in seinem Leben noch jemals kämpfen wollte.
    Tamino war immer noch nicht ganz sicher, daß es den Drachen tatsächlich gab, daß er nicht nur eine Illusion im Land der Wandlungen war. Doch das tote Ungeheuer sah sehr wirklich aus. Er hatte es nicht getötet, aber konnte mit größ-
    ter Sicherheit sagen, daß dieser komische Halbling es auch nicht besiegt hatte. Der Vogel-Mann war schlank und zierlich. Tamino hätte nicht darauf gesetzt, daß er einen Hahnen-kampf mit einem echten Kampfhahn als Gegner gewinnen würde.
    »Du hast ihn also getötet? Mit welcher Waffe?« fragte er.
    Der Vogel-Mann blickte auf den Gürtel seiner Tunika. Das einzige dort, das entfernt einer Waffe glich, waren ein kleines Messer, mit dem man kaum einen Federkiel hätte anspitzen können, und eine Art Ahle, um Weiden oder Ruten zu flech-ten – vermutlich fertigte er damit seine Vogelkäfige an. Der Vogel-Mann griff nach dem kleinen Messer, und Tamino konnte beinahe sehen, wie er überlegte, ob der Fremde ihm glauben würde, wenn er behauptete, mit dem Messer gegen den Drachen gekämpft zu haben. Aber der Vogel-Mann er-klärte großspurig: »Ich brauche keine Waffe! Siehst du nicht, welche Kraft in meinen Armen und Fäusten steckt?«
    Tamino lachte lauthals über den wunderlichen kleinen Bur-chen. Solche Lügen aus dem Mund eines Menschen hätte er abstoßend gefunden. Aber den kleinen Kerl konnte man nicht mit menschlichen Maßstäben messen.
    »Du mußt mir von allen Drachen erzählen, die du besiegt hast«, sagte er, immer noch leise lachend. »Sammelt die Sternenkönigin Drachen wie du Vögel in deinen Käfigen?«
    Bei der Erwähnung der Sternenkönigin bekam der Vogel-Mann große Augen. »O nein«, erwiderte er, »sie herrscht über alle Drachen, wie sie über uns herrscht. Sie ist groß und mächtig… und ich, Papageno, ich bin ihr erwählter Kämpfer, Vogelfänger, Drachentöter und ihr weisester Ratgeber…«
    »Ach wirklich?« Tamino kicherte, »dann kannst du mir vielleicht den Weg zu einem angenehmen Gasthof in der Nähe zeigen, wo ein Reisender etwas zu essen bekommen, ein Bad nehmen und vielleicht sogar einen Krug guten Wein trinken kann. Ich bin seit dreißig Tagen unterwegs, und etwas Gastfreundschaft würde mir sehr guttun.«
    »In dieser Gegend gibt es keine Gasthäuser«, erwiderte Papageno arglos, »zumindest weiß ich nichts davon. Ich bin noch nicht vielen Reisenden begegnet. Aber Hunger muß schrecklich sein. Hör zu… bald werden ein paar hübsche Damen kommen, um meine Vögel abzuholen. Sie bringen mir Früchte, köstlichen Wein und einen Laib schönes weißes Brot… das tun sie immer, denn ich bin ein liebenswerter Bursche und schließlich der erwählte Kämpfer der Sternenkönigin. Ich bekomme immer mehr, als ich essen kann, und ich will gerne alles mit dir teilen.«
    »Du bist sehr freundlich«, sagte Tamino aufrichtig gerührt.
    Der kleine Kerl mochte komisch und albern sein, doch er hatte ein gutes Herz.
    ∗ ∗ ∗
    Vom Rand der Lichtung ertönte ein leiser Ruf.
    »Papageno!«
    Der Vogel-Halbling begann zu zittern und versuchte, sich wieder hinter Tamino zu verstecken. Noch einmal rief eine Frauenstimme leise und nachdrücklich:
    »Papageno, du übler Bursche!«
    »Sind das die hübschen Damen, von denen du mir erzählt hast?«
    Der Vogel-Mann nickte kläglich, als er zum dritten Mal gerufen wurde. »Papageno!«
    Tamino blickte sich suchend nach den Rufenden um und sah drei Frauen auf die Lichtung kommen.
    »Wer sind diese Damen?« fragte er.
    »Es sind die Damen vom Hof der Sternenkönigin«, erwiderte Papageno und stellte sich schutzsuchend hinter Tamino. Der Prinz blickte ihnen entgegen.
    Sie waren alle drei groß und eindrucksvoll;

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