Tochter der Nacht
Weisheit erblicken.«
»Licht? Welches Licht?« brummte der Vogel-Mann, »ich sehe nichts.«
»Das Licht wird leuchten, wenn du seiner würdig bist«, sagte der Priester feierlich. »Vergiß nicht, die erste Prüfung verlangt von dir Schweigen und Gehorsam.«
»Dann sitze ich bis in alle Ewigkeit im Dunkeln«, erklärte Papageno mißmutig.
Taminos Geleiter berührte jenen leicht an der Schulter.
»Ihr müßt hierbleiben, Prinz Tamino, bis man Euch holt.
Denkt über den Tod nach.«
Tamino wollte höflich antworten, dann fiel ihm ein, man hatte ihn ermahnt, zu schweigen, so daß eine Antwort vielleicht als Ungehorsam gelten würde, und verneigte sich nur förmlich.
Schwach drang das Licht herein, als die Tore sich öffneten und die Priester in wallenden Gewändern das Gewölbe verließen.
Tamino hörte Papageno mißmutig piepsen. Der kleine Vogel-Mann kauerte auf dem Boden, die mageren Arme um die Knie geschlungen.
»Tamino, warum sitzen wir jetzt hier in dieser schrecklichen Dunkelheit?«
Man hatte dem Prinzen befohlen, zu schweigen. Doch der Halbling schien Angst zu haben, und Tamino war für Papageno verantwortlich: Er hatte den kleinen Vogel-Menschen schließlich hierher gebracht.
»Sie wollen es so«, erwiderte Tamino freundlich, »und selbst ich, ein Prinz, muß gehorchen.«
Ein Blitz hinter hohen Fenstern zerriß die Dunkelheit. Papageno zuckte zusammen. Ein heftiger Donnerschlag ließ das Gebäude erbeben. Der Halbling schrie auf vor Angst und drängte sich an Tamino.
»Still, Papageno, es ist nur der Donner. Schämst du dich nicht! Du führtst dich wie ein Feigling auf!«
»Ich bin kein Prinz, ich muß nicht tapfer sein!« Papageno zitterte. Der Vogel-Mann hatte die Arme um den Körper geschlungen und fuhr bei jedem neuen Blitz zusammen, während das Gewitter draußen tobte.
Tamino ging zu einem der hohen Fenster und sah hinaus.
Die Nacht war das geheimnisvolle Reich der Sternenkönigin, und er war auf ihre Bitte hin hierhergekommen. Aber alles schien sich ins Gegenteil verkehrt zu haben. Der >böse< Zauberer Sarastro schien ein edler, gütiger Mann zu sein; wie es aussah, war Pamina, die >unglückliche Jungfrau<, guter Lau-ne und hatte keineswegs das Bedürfnis, gerettet zu werden.
Und außerdem lagen die Prüfungen in Sarastros Hand. Tamino fühlte, all das, woran er glaubte, wurde in Frage gestellt.
Im grellen Licht der Blitze war zu erkennen, daß sie sich in einer Gruft befanden. In den Nischen standen Sarkophage, bedeckt mit Schriftzeichen alter Sprachen, von denen Tamino noch nie etwas gehört hatte. Auf einer Säule sah er einen Schädel mit eingelegten Edelsteinen, die einen fahlen Schimmer verbreiteten. Von Kulturen oder Völkern mit einem solchen Totenkult hatte Tamino zwar gehört, aber wer waren diese Menschen, die vor so langer Zeit gelebt hatten. Was war mit ihnen geschehen? Weshalb hielt Sarastro jetzt seine Rituale in ihren Grabkammern ab?
Wer sie auch gewesen sein mochten, jetzt kannten nur noch die Toten ihre Namen. Und eines Tages, dachte Tamino, wird es dem Reich meines Vaters und Sarastros Volk – uns allen –
nicht anders ergehen. Vermutlich hatte das der Priester gemeint, als er ihn aufforderte, über die Vergänglichkeit der Menschen nachzudenken. Insgeheim war er nicht unzufrieden mit sich.
Papageno kauerte wieder zitternd und ängstlich am Boden und starrte voller Entsetzen um sich.
»Welch ein schrecklicher Ort! Wenn sie keinen besseren Platz für die Prüflinge finden, würde ihnen nur recht geschehen, wenn überhaupt niemand käme.«
»Still, Papageno, man hat dir gesagt, du sollst schweigen und über die Sterblichkeit meditieren.«
»Nein, das hat man Euch befohlen«, erwiderte Papageno,
»es ist schlimm genug, sterblich zu sein, ohne darüber meditieren zu müssen. Außerdem weiß ich nicht, wie man meditiert.«
Es fiel Tamino schwer, nicht zu lächeln. Er erklärte: »Sie wollen, daß du sehr, sehr ernsthaft darüber nachdenkst. Nichts anderes meinen sie damit.«
»Warum haben sie es dann nicht gesagt?« wollte Papageno wissen.
Tamino ersparte sich eine Antwort und begann, die Runen auf den Sarkophagen im zuckenden Licht der Blitze zu betrachten. Papageno schimpfte noch immer unzufrieden vor sich hin, aber Tamino achtete nicht weiter darauf. Die Zeit verstrich und schlich geräuschlos vorbei, während seine Augen sich an das Dunkel gewöhnten und er die mahnenden Erinnerungen an diese alte Kultur studierte, bis Tamino schließlich das Gefühl
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