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Tochter der Nacht

Tochter der Nacht

Titel: Tochter der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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Aber irgendwie spürte er, dies gehörte zu Paminas Prüfung. Sie mußte diese Furcht selbst überwinden, mußte sich ihr alleine stellen. Wenn er versuchte, sie zu trö-
    sten oder sie zu beruhigen, würde Pamina die Ängste vielleicht nie beherrschen, die in ihr aufstiegen. Er hatte sie als Vogel fast so sehr gefürchtet wie ihre Mutter. Wenn sie heira-teten, mußte er diese Furcht ebenfalls überwinden. Er konnte oder wollte sich nicht vorstellen, in ständiger Angst vor Paminas Zauberkräften zu leben.
    Tamino überlegte, wie es Sarastro gelungen war, diese Furcht zu bezwingen, und erwiderte leise: »Vielleicht hat der Priester-König deine Mutter so sehr geliebt, daß er ihr nichts verweigern konnte. Ich liebe dich auch, Pamina. Vielleicht ist es ein Ziel dieser Prüfung, uns beiden die Augen dafür zu öffnen, wann wir Macht rechtmäßig gebrauchen dürfen und wann nicht. Und dabei können wir uns gegenseitig helfen.
    Am Anfang der Prüfungen sagte der Priester, jeder von uns habe Stärken und Schwächen, die sich gegenseitig ergänzen.
    Ich habe vermieden, den Halblingen im Meer mit Hilfe der Flöte Befehle zu erteilen, und wie sich herausstellte, war das richtig. Also haben wir zusammen das Richtige getan. Du hast mich davon abgehalten, die Steilwand hinabzuklettern, und auch das war richtig. Jeder von uns hat den anderen vor gefährlichen und möglicherweise tödlichen Fehlern bewahrt. Ich bin sicher, deine Mutter und Sarastro hätten Gleiches bewirken können. Aber aus irgendeinem Grund taten sie es nicht. Wir wissen nicht einmal, ob ihnen erlaubt war, sich gemeinsam den Prüfungen zu unterziehen. Aber du und ich, Pamina, wir sind beisammen. Gemeinsam können wir solche Entscheidungen treffen und verhängnisvolle Dinge verhüten.«
    »Du hast sicher recht«, erwiderte Pamina und weinte fast:
    »Sarastro liebte meine Mutter auch. Und es ist ihm nicht gelungen zu verhindern, daß sie wurde… wurde, was sie ist.
    Was nützt die Liebe also?«
    »Sarastro liebte deine Mutter«, entgegnete Tamino und wünschte, wenigstens ihre Hand zu halten, »aber wir wissen nicht, ob deine Mutter Sarastro liebte. Wenn ich daran denke, was die Sternenkönigin über ihn gesagt hat… verglichen mit Sarastros Worten über deine Mutter… glaube ich fast nicht, daß sie ihn je geliebt hat. Ganz sicher liebte sie ihn nicht so sehr, wie er sie liebte.« In Wahrheit glaubte Tamino, daß die Sternenkönigin niemanden liebte oder überhaupt nicht zur Liebe fähig war, doch er sagte es nicht.
    Pamina schien seine gedachten Worte zu hören – vielleicht würde sie immer wissen, was er in seinem Kopf bewegte.
    Und auch das erschreckte ihn. Er wollte Pamina nicht fürchten, er wollte sie lieben. Nichts sollte sich vor seine Liebe stellen.
    Aber er bemerkte, wie ihr die Hitze inzwischen zu schaffen machte, und wußte, die Sorge um sie, das Bedürfnis, sie zu beschützen, würde immer an allererster Stelle stehen und die Furcht vor ihr in den Hintergrund drängen. Tamino konnte sich nicht vorstellen, daß jemand versuchte, die Sternenkö-
    nigin zu beschützen, oder daß die Sternenkönigin sich beschützen lassen würde. War sie jemals eine verletzliche Frau gewesen – wie Pamina?
    »Wir müssen versuchen, Schatten zu finden«, sagte Tamino,
    »selbst wenn dies eine Feuerprobe ist, bezweifle ich, daß wir bei lebendigem Leib gebraten für die Bruderschaft von Nutzen sein können. Ich bin sicher, man will nicht feststellen, ob wir feuerfest sind.«
    Pamina lächelte schwach. »Nichts wäre mir lieber als Schatten. Aber wo sollen wir ihn finden?«
    Tamino blickte zu den niedrigen Bäumen am Horizont.
    »Dort vorn muß es irgendwo Schatten geben. Ganz sicher unter den Bäumen, wenn wir sie erreichen können – das heißt, wenn sie keine trügerischen Bilder sind. Eine andere Möglichkeit sehe ich nicht. Sollen wir… sollen wir es versuchen?«
    »Ich glaube, das ist vernünftig«, stimmte Pamina zu, und sie machten sich auf den Weg.
    ∗ ∗ ∗
    Sie gingen lange Zeit, doch wie Tamino fast erwartet hatte, die Bäume kamen nicht näher. Pamina war blaß und atmete schwer in der Hitze, und Wasser fehlte noch dringender als Schatten. Tamino erinnerte sich an die wunderbare Dattelpalme, die ihm in der Not geholfen hatte.
    »Wir sind im Land der Wandlungen«, sagte er, »vielleicht müssen wir unter Beweis stellen, daß wir dieses Land unseren Bedürfnissen entsprechend umformen können.«
    »Ich glaube«, erwiderte Pamina, »das wäre das

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