Tochter des Glueck
ist.
»Zum Glück ist die Zeit des Feudalismus vorbei. Du wirst einige Öffentliche-Kritik-Sitzungen hinter dich bringen müssen, um deinen bourgeoisen Individualismus abzulegen. Sehen wir mal.« Wieder schaut er auf seine Liste. »Bist du eine heimgekehrte Wissenschaftlerin?« Er mustert mich kurz von Kopf bis Fuß und befindet, dass ich das nicht bin. »Falls ja, müsstest du unterschreiben, dass der chinesische Mond größer ist als der amerikanische.« Er legt sein Klemmbrett auf den Tisch. »Tatsache ist, du fällst in eine andere Kategorie. Du bist wohlhabend.«
Er hält mich für reich, und mit meinen US -Dollars bin ich das im Neuen China wohl auch.
»Überseechinesen, die der Oberklasse angehören, werden alle möglichen Vorteile zugestanden«, fährt er fort. »Du bekommst das Privileg der Drei Garantien. Du darfst das Geld, das dir überwiesen wird, empfangen und behalten, solange das von der Kommission für Belange von Überseechinesen bearbeitet wird. Du darfst deine Geldanweisungen gegen besondere Gutscheine eintauschen, damit kannst du für Lebenshaltungskosten, Reisen und Beerdigungen aufkommen. Du darfst auch in besonderen Geschäften einkaufen, mit den Gutscheinen, die du im Austausch für die Überweisungen bekommst.«
»Und wenn ich diese Gutscheine gar nicht will?« Ich möchte die Kontrolle über mein Geld behalten, aber das sage ich nicht.
»Du musst das überwiesene Geld nicht bei einer Bank deponieren, wenn du das nicht willst.« Das beantwortet meine Frage allerdings nicht. »Und deine Geheimnisse werden gewahrt.« Das alles hört sich nach mehr als drei Garantien an, doch das behalte ich für mich. »Du kommst jeden Monat zu einem Gespräch hierher. Du erstattest auch regelmäßig der Kommission für Belange von Überseechinesen Bericht. Falls du das nicht tust, erfahre ich davon. Ich werde auch deinem Wohnsitz einen Besuch abstatten und die Genossen befragen, die dort wohnhaft sind. Glaub ja nicht, dass du deine bourgeoisen Gewohnheiten vor ihnen oder vor mir verbergen könntest.«
Er klopft mit dem Stift auf den Tisch und blickt mich streng an. »Nach China heimzukehren, ist gut und schön, aber du musst auch unsere Regeln befolgen. Ich hoffe, du hast deine Lektion gelernt und verhältst dich dementsprechend.« Er steht auf, geht zu einem Beistelltisch und kehrt mit ein paar Flugblättern zurück, die er mir in die Hand drückt. »Nimm die und lies sie vor unserem nächsten Treffen. Darin findest du die Früchte der Denkreform. Ich werde dich bitten, deine Vergangenheit von einem revolutionären Standpunkt aus neu zu betrachten. Ein nicht überzeugendes Geständnis akzeptiere ich nicht. Du musst ehrlich sein. Du musst dich der harten Prüfung des sozialistischen Aufbaus und der patriotischen Umerziehung stellen.«
Wenige Minuten später verlasse ich das Gebäude. Ich atme tief ein und langsam wieder aus. Ich hatte nicht damit gerechnet, von der Polizei abgeholt und verhört zu werden. Das hat mir einen Heidenschreck eingejagt, und ich bin panisch.
»Alles in Ordnung?«, fragt jemand. Ich blicke auf, und da steht Dun-ao. Ich freue mich sehr, ihn zu sehen, und staune darüber, dass er für mich ein solches Risiko eingeht. »Ich bin dir hierher gefolgt. Ich wollte sichergehen, dass du auch wieder herauskommst.«
Er spricht genau das aus, wovor ich Angst habe – festgenommen zu werden. Wenn das passierte, würde keiner je erfahren, was aus mir geworden ist. Schlimmer noch, ich würde Joy niemals finden.
»Gehen wir nach Hause«, sagt er. »Trinken wir einen Tee. Vielleicht kann ich helfen.«
Als wir zu Hause sind, mache ich uns beiden Tee. Ich erzähle Dun-ao, dass Joy weggelaufen ist, ich ihr gefolgt bin, von Z. G.s Problemen, dass ich warten muss, bis sie zurückkommen, und von all den Regeln, die ich laut dem Polizeibeamten befolgen muss. Ich bin so redselig, weil man mich eingeschüchtert hat und ich Angst habe und nicht richtig denken kann. Dun – so möchte er genannt werden – erklärt mir, dass ich eigentlich Glück hatte.
»Du wirst an Denkreform-Sitzungen teilnehmen müssen, wie wir alle«, sagt er, »doch solange du nicht als schwarzes Element giltst, hast du viele Vorteile. Du bekommst deine speziellen Bezugsscheine. Du kannst sofort eine Ausreisegenehmigung bekommen, ohne Verzögerung oder Fragen.«
»Aber was ist mit meiner Tochter?«, frage ich. »Ohne sie gehe ich nicht.«
»Auf jeden Fall ist es besser, dass ihr beide hier seid«, antwortet er. »Es ist
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