Tochter des Glueck
ruft.«
»Aber der Preisrichter hat auch gesagt …«
»Dass wir traditionelle Themen vermeiden sollten.« Er beugt sich vor und flüstert mir ins Ohr. »Diese Anweisung muss vom Vorsitzenden Mao kommen. Es ist an uns, zu deuten, was er will, während wir ihn davor bewahren, sein Gesicht zu verlieren. Wenn er das Gesicht verliert, müssen viele leiden.«
Ich weiche zurück, erschrocken darüber, dass Z. G. so etwas in der Öffentlichkeit sagt. Glücklicherweise ist der Lärmpegel bei den vielen Menschen hoch, und niemand kann Z. G. verstanden haben.
Er entfernt sich, und ich sehe mir die Ausstellung weiter an. Maos Wünsche und ihre Deutung durch Z. G. wurden von unterschiedlichen Malern auf unterschiedliche Weise umgesetzt. Manche haben sich für eine politische Botschaft durch Bilder aus der Vergangenheit entschieden: Türgottheiten in Militäruniformen oder Göttinnen in Bauernkleidung. Andere haben Politik und Geschichte gänzlich gemieden und sich stattdessen auf Glückssymbole verlegt.
Ich komme zu Taos Bild, das Z. G. eingereicht hat. Neben den Werken der professionellen Künstler wirkt sein Stil kindlich. Das Bild zeigt Bauern bei der Reisernte. Die Farben leuchten, sind aber flach, und es gibt wenig bis gar keine Perspektive. Dennoch hat das Bild etwas sehr Lebendiges. Ich spüre beinahe, wie ich auf den Feldern des Gründrachendorfs stehe, die heiße Sonne über mir, den Geruch der Erde in der Nase.
Z. G. hat mehrere Werke eingereicht. Mein Lieblingsbild zeigt den jungen Mao in einer langen Gelehrtenrobe. Er schreitet über ein Feld, gefolgt von Bauern und Soldaten, beinahe wie ein Gott, der seine Jünger anführt. Die Hügel um das Kollektiv des Gründrachendorfs bilden den Hintergrund. Dem Vorsitzenden wird das bestimmt gefallen, und ich frage mich, ob die Juroren sich auch davon beeindrucken lassen.
Ich hole Z. G. ein, der vor einem Bild mit dem Titel Eine überreiche Ernte von Feldfrüchten steht. »Du hast die meisten eingereichten Werke gesehen«, sagt er. »Welches, glaubst du, möchte der Vorsitzende Mao als Gewinner sehen?«
Bevor ich antworten kann, erhebt sich auf der anderen Seite der Galerie eine lautstarke Diskussion. Die Preisrichter haben sich um ein Bild versammelt. Wir eilen hinüber, mit anderen, die den Grund für den Aufruhr sehen möchten.
»Das hätte vor zwanzig Jahren gemalt werden können«, beschwert sich ein Mitglied der Jury. »Die Pose … Die Farben … Das ist kein sozialistischer Realismus.«
»Der Maler ist von ausländischen Elementen verdorben worden«, fügt ein anderer barsch hinzu. »Unser großer Vorsitzender hat uns erklärt, Kunst muss analysiert und in duftende Blumen und Überreste des Feudalismus aufgeteilt werden. Das hier sind die Überreste.«
»Die Rosen riechen nach kapitalistischer Ideologie«, lautet die Kritik eines dritten Preisrichters. »Seht ihr, wie sie die Hand hinter dem Kopf hält? Wir alle wissen, was das heißt. Sie verkauft sich, lockt uns mit ihrer sittlichen Verwahrlosung, wie eine Prostituierte.«
Abschätzig grummelnd bewegen sich die Preisrichter weiter. Als sich die Menge zerstreut, dränge ich mich nach vorne. Das Bild zeigt eine junge Bäuerin, die in einem Rosenfeld steht. Sie hält einen Korb mit den Rosen, die sie gerade gepflückt hat, und ist dabei, sich eine der Blüten hinter das rechte Ohr zu stecken. Wer ist die zentrale Gestalt? Das bin ich! Z. G. hat mich gemalt! Immer wenn ich ihn mit seinem Skizzenheft am Rand der Felder des Gründrachendorfkollektivs gesehen habe, hat er mich gemalt. Genau wie Z. G.s Porträt von Mao ist auch dieses Bild eine Mischung aus Realität und Fantasie. Ich trage die Kleidung von Kumei – eine gelbe Bluse und eine leichte blaue Hose. Im Gründrachendorf war ich oft so gekleidet, aber meine Haare sind länger und zu Zöpfen geflochten, so wie bei vielen Bauernmädchen. Ich stehe in einem Feld pinkfarbener Rosen. Im Gründrachendorf habe ich keine einzige Rose gesehen.
»Du siehst aus wie deine Mutter«, sagt Z. G. mit sanfter Stimme.
Ich erröte. Tante May galt immer als schön. Ich habe von mir selbst nie so gedacht, aber wenn ich dieses Bild betrachte, scheint es doch so.
»Sie hat mir gefehlt«, fügt Z. G. hinzu. Unsere Blicke treffen sich, und einen Augenblick lang spüre ich die Liebe, die er immer noch für sie empfindet.
Dann steht der Vorsitzende Mao neben mir. Er ist ein bisschen untersetzt. Er hat Geheimratsecken. Sein Gesicht ist rund und glänzt. Er lächelt warm und
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