Tochter des Glueck
und Freude, Traurigkeit, ja nicht einmal Wut darüber, dass ich da bin. Es ist schlimmer. Die kühlen Schatten der Gleichgültigkeit fallen über ihre Gesichtszüge. Sie starrt mich an, sagt aber kein Wort.
Ich lächle und sage: »Hallo, Joy.« Als sie nicht antwortet, fahre ich rasch fort. »Ich habe dir ein Weihnachtsgeschenk mitgebracht.« Ich gehe zu meinem Mantel, krame in der Tasche nach dem eingewickelten Parfümflakon und halte ihn ihr hin.
»Ich feiere Weihnachten nicht mehr.«
Auf diese Erklärung folgt ein langes Schweigen. Sie weiß, dass ich Christin bin und dass mich das kränkt.
»Joy.« Ich bitte sie flehentlich. Sie wird reagieren müssen.
»Ich will nicht, dass du hier bist. Du machst alles kaputt.«
»Sprich nicht so mit ihr«, sagt Z. G. so ruhig wie möglich. »Sie ist immerhin deine Tante.«
Ich grabe mir die Nägel in die Handfläche, damit mich der Schmerz nicht überwältigt.
»Und du bist mein Vater«, gibt meine Tochter zurück. »Das ist viel wichtiger.«
Alles, was ich ihr sagen wollte – dass sie undankbar, grausam, verwöhnt und egoistisch ist, genau wie deine leibliche Mutter –, drängt aus mir heraus. Z. G. tritt einen Schritt vor. Ich hebe die Hand, damit er nicht weitergeht oder etwas sagt.
»Ich liebe dich, Joy. Können wir darüber reden, warum du weggelaufen bist?« Ich kenne natürlich den Grund dafür – sie wollte sich nicht mit zwei Müttern herumschlagen, die sie angelogen hatten –, aber ich muss sie dazu bringen, dass sie sich öffnet. »Wir hatten an jenem Abend keine Gelegenheit, miteinander zu sprechen. Wenn du mir sagst, was du empfunden hast, geht es dir danach vielleicht besser. Und vielleicht kann ich sogar helfen.«
Und damit ist meine Tochter wieder fünf Jahre alt. Sie schiebt die Oberlippe zwischen die Zähne und beißt fest zu, um ihre Gefühle zu kontrollieren.
»Sag es mir, Schatz. Damit ich es verstehen kann.«
Als sie den Kopf schüttelt, weiß ich, dass ich die Sache richtig angehe. Dieses Muster haben wir als Mutter und Tochter häufig durchlaufen.
»Es tut mir leid, dass ich nicht mehr für dich getan habe, nachdem dein Baba gestorben ist«, sage ich. »Dafür will ich mich entschuldigen. Wir haben ihn beide geliebt.« Tränen rollen Joy über die Wangen. »Wir hätten uns aneinander festhalten sollen.«
Doch was sie nun sagt, verblüfft mich.
»Es war richtig von dir, mich links liegen zu lassen, nach dem, was ich getan habe.«
»Was hast du denn getan?«, frage ich verwirrt. Wieder kommt alles anders, als ich dachte. Ich versuche verzweifelt zu begreifen.
»Ach, Mom, das war alles meine Schuld. Tante May und ich haben uns nach eurem Streit unterhalten. Sie hat mir erzählt, dass Dad ein Papiersohn war …«
»May schiebt immer jemand anderem die Schuld zu.«
»Nein, Mom, hör mir zu. Das FBI und der INS hätten unsere Familie nie unter die Lupe genommen, wenn ich nicht dieser Gruppe in Chicago beigetreten wäre. Agent Sanders hat sich nur wegen mir an Tante May gewandt. Sie hat versucht, unserer Familie zu helfen. Sie hat versucht, eine Amnestie für dich und Dad zu bekommen. Ihr war nicht klar, dass ich das eigentliche Ziel war. Hättest du mir die Wahrheit über Dad gesagt, wäre ich vorsichtiger gewesen. Ich hätte mich nicht diesem Studentenverband angeschlossen, und wir wären der Regierung nicht aufgefallen.«
Sie hat recht. Wäre Joy nicht Mitglied dieser Gruppe gewesen, hätte alles ganz anders ausgesehen. Trotzdem …
»Das ändert nichts an der Tatsache, dass meine Schwester uns verraten hat.«
»Aber Tante May hat euch nicht verraten! Sie hat versucht, euch zu helfen, so gut sie konnte. Amnestie, Mom. Weißt du überhaupt, was das bedeutet?«
Einerseits denke ich: Selbst hier noch, nach allem, was passiert ist, stellt sich Joy auf Mays Seite. Andererseits höre ich jedoch auch genau, was meine Tochter gesagt hat. Ich habe May die Schuld an allem gegeben, aber was, wenn sie gar nichts dafür kann?
»Der Selbstmord deines Vaters war nicht deine Schuld, Schatz. Das darfst du nie denken. Vielleicht hat dich das FBI ja als Pfand eingesetzt, aber sie hätten das Spiel immer gewonnen.«
»Nichts, was du sagen oder tun kannst, ändert etwas an dem, was passiert ist, was ich getan habe oder wo ich gelandet bin. Du kannst mich nie so hart bestrafen wie ich mich selbst.«
»Ist das der Grund, weshalb du hergekommen bist?«, frage ich. »Um dich zu bestrafen? Aber diese Strafe ist doch viel zu hoch, für jeden.«
»Mom,
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