Tochter des Glücks - Roman
Sam.
Jetzt bin ich Witwe. Meine Mutter sagte immer, eine Witwe sei der unglücklichste Mensch auf Erden, weil sie entweder in einem früheren Leben ein unverzeihliches Verbrechen begangen oder weil ihre mangelnde Hingabe an ihren Ehemann dessen Tod verursacht habe. So oder so, sie muss ihr Leben ohne die Liebe eines anderen Mannes weiterführen, denn keine gute Familie wird eine Witwe in ihr Haus aufnehmen. Und selbst wenn eine Familie bereit wäre, eine Witwe aufzunehmen, würde die das wohlweislich nicht annehmen, denn die Welt weiß, dass eine anständige Frau niemals einen zweiten Mann haben sollte. Als Witwe muss man sich auf ein Dasein im Elend einstellen und es akzeptieren.
Eine Witwe sollte beten, fasten und Sutras rezitieren. (Ich werde die Sutras weglassen und mich auf Gebete beschränken.) Sie soll dort, wo sie betet, Gutes tun. (Das könnte mir zwischenzeitlich nur im Herzen möglich sein, denn ich habe keine Ahnung, was eine Methodistin wie mich in der Volksrepublik China erwartet.) Sie sollte den Rest ihres Lebens in Keuschheit verbringen. (Wenn ich ehrlich bin, bricht mir das nicht gerade das Herz.) Sie sollte ihren materiellen Besitz aufgeben und sich anderen wie mir widmen: jenen, die gesellschaftlich gesehen bereits gestorben sind. (Stattdessen fliege ich um die Welt, um meine Tochter zu suchen.) Man hat mir oft erzählt, dass eine Witwe durch das Leiden ihre Eitelkeit und ihre Bindungen überwindet. (Eitel war ich nie – das habe ich meiner Schwester überlassen –, aber meine Bindungen kann ich nicht aufgeben, wenn das bedeutet, meine Tochter aufgeben zu müssen.) Eine anständige Witwe sollte sich auf dunkle Farben und vielleicht ein wenig Jadeschmuck von guter Qualität beschränken. Aber wieso denke ich überhaupt über diese Dinge nach, während ich doch auf einer verzweifelten und sehr spontanen Suche nach Joy bin?
Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass ich nicht weiß, was ich tue. Normalerweise plane ich gerne mein Leben, und die Schritte, die ich unternehme, sind wohldurchdacht. Aber das Leben folgt nicht immer einem Plan. Als junge Frau habe ich Z. G. geliebt, wurde jedoch zu einer arrangierten Ehe gezwungen, damit mein Vater seine Schulden bezahlen konnte. Wenn ich jetzt daran denke, wie ich Mays Tochter als meine eigene aufgezogen habe, ohne zu wissen, dass Z. G. Joys Vater ist, zieht sich meine Brust vor Kummer und Scham bei der Vorstellung von May und Z. G. als Paar zusammen. Sie ist ein Schaf, er ist im Jahr des Hasen geboren. Das ist eine der idealsten Kombinationen überhaupt, und doch glaubte ich damals, dass Z. G. und ich füreinander bestimmt waren. Die Offenbarung ist niederschmetternd und bricht mir das Herz, aber derzeit muss ich mir über andere Dinge Sorgen machen.
Wir überqueren die Datumsgrenze, es ist nun also siebzehn Tage her, seit Sam Selbstmord begangen hat, dreizehn Tage, seit er beerdigt wurde, und zwei Tage, seit Joy weggelaufen ist. Es stand nie außer Frage, dass ich diejenige sein würde, die Joy nachreist. Ein wohlwollender Mensch würde sagen, dass May Vern nicht allein lassen wollte, ihren behinderten Ehemann, der nie ganz richtig im Kopf war, aber ich kenne sie. Sie würde ihr Geschäft nicht gerne sich selbst überlassen oder sich in Gefahr bringen wollen. Wie sagt sie immer? Sie wolle sich keinen Fingernagel abbrechen. Joy mag vielleicht nicht meine leibliche Tochter sein, aber sie gehört zu mir, und ich würde alles für sie tun. Ich muss an meine Mutter denken, die mich stets ermahnte, mich vor dem Charakterzug in Acht nehmen, den ich mit allen im Jahr des Drachen geborenen Menschen gemein habe: Ein Drache, der sich im Recht glaubt, landet oft kopfüber in einer Katastrophe. Meine Mutter hatte in vielen Dingen recht.
»Sie sind sehr tapfer«, sagt die Frau neben mir, während das Flugzeug durch Luftlöcher holpert. Sie ist weiß vor Angst und klammert sich an den Armlehnen fest. »Sie haben sicher Erfahrung.«
»Ich sitze zum ersten Mal in einem Flugzeug«, sage ich nach einer Weile. Ich bin so gelähmt von der Trauer um meinen Ehemann und der Angst um meine Tochter, dass ich beim Start des Flugzeugs keine Angst hatte, und die Turbulenzen, die anfingen, nachdem wir in Tokio aufgetankt hatten, sind mir kaum aufgefallen. Ich wende mich zurück zum Fenster und starre in die Dunkelheit. Später höre ich, wie sich die Frau in eine Tüte übergibt.
Schließlich beginnt das Flugzeug den Landeanflug auf den Flughafen Hongkong-Kai Tak. Kleine
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