Tochter des Glücks - Roman
durch das Adrenalin, das noch durch meinen Körper fließt, frage ich Tao, ob er noch ein bisschen spazieren gehen will. Es ist zu dunkel, um den Hügel zum Pavillon der Wohltätigkeit hinaufzusteigen, deshalb bleiben wir auf dem Fußweg, der entlang des Bachs verläuft. Nach einer Weile halten wir an und setzen uns auf Felsen am Ufer. Ich schlüpfe aus Schuhen und Socken und stecke die Füße ins kühle Wasser. Tao zieht sich die Sandalen aus und taucht seine Füße neben mir ein. In der Grundschule haben sich Hazel und ich immer über andere Mädchen lustig gemacht, wenn sie mit irgendwelchen Jungs füßeln wollten. Es war ein alberner Spott von kleinen Mädchen, die keine Ahnung von Sex, Jungs oder Romantik haben. Doch nun streiche ich mit den Zehen – die weich und nass sind – über den Spann von Taos rechtem Fuß. Was ich dabei empfinde, sitzt jedoch nicht in den Füßen. Die Aufführung hat auch Tao mutig werden lassen, denn er nimmt meine Hand und legt sie sich in den Schoß. Ich bin verblüfft, wie hart er ist, aber ich ziehe die Hand nicht weg.
Als ich später zum Hofhaus zurückkehre, sitzen alle im vordersten Hof. Ta-ming hat den Kopf in Kumeis Schoß gelegt und schläft. Yong sitzt auf einer Blumenbank aus Keramik, ihre gebunden Füße berühren kaum den Boden. Und Z. G. hockt auf einer Stufe, die Ellbogen auf den Knien, den Kopf nach vorne gereckt. Ich bin noch ganz beschwingt, aber er sieht verärgert aus, und das irritiert mich.
»Du kommst von weit her, und jeder versucht, deine fremdartigen Gewohnheiten zu verstehen.« Sein Ton ist streng und barsch. »Aber niemand in diesem Haus kann sich deine bourgeoisen Anwandlungen leisten.«
»Was für bourgeoise …«
»Dass du mit Tao das Dorf verlässt und wer weiß was anstellst. Das muss ein Ende haben.«
Meine erste Reaktion ist Entrüstung. Für wen hältst du dich? Für meinen Vater? , möchte ich ihn fragen, aber er ist ja mein Vater. Gut, er mag mein Vater sein, doch er kennt mich nicht. Er kann mir nicht vorschreiben, was ich zu tun oder zu lassen habe. Hilfesuchend blicke ich Kumei und Yong an. Wir haben gerade einige Szenen über die Befreiung der Frau gesehen. Kumei und Yong sollten eigentlich auf meiner Seite sein, aber ihre Gesichter sind weiß, offenbar vor Angst.
»Wir leben im Neuen China, doch eines hat sich nicht geändert«, fährt Z. G. fort. »Was du tust, fällt auf uns alle zurück.«
Was ich tue? Ich denke daran, was Tao und ich gerade getan haben. Scham, Verlegenheit und die Erinnerung an das Vergnügen dabei lassen mich erröten. Dennoch antworte ich trotzig. »Es ist nichts passiert!«
»Wenn man euch erwischt«, erklärt Z. G. weiter, »werdet nicht nur ihr bestraft. Wir werden alle öffentlich geschmäht und müssen Selbstkritik üben.«
»Das glaube ich nicht«, sage ich bockig, so wie früher, wenn ich mit meinem Dad aneinandergeriet. Also wirklich. Als ich hier hereinkam, schwebte ich wie auf Wolken – wegen der Aufführung, wegen der Reaktion des Publikums auf meinen Auftritt und weil ich mit Tao noch einen Schritt weiter gegangen bin. Warum muss Z. G. mir das verderben?
»Du hast doch von nichts eine Ahnung. Was du tust, ist gefährlich für unsere Gastgeber«, sagt er. »In den letzten zwei Jahren wurden über zwei Millionen Menschen gewaltsam in den äußersten Westen verschleppt, um dort Ödland zu kultivieren. Das war die Strafe, weil sie die Regierung kritisiert haben, weil sie gesellschaftliche Außenseiter waren oder wegen ihres konterrevolutionären Verhaltens. Einige dieser Leute waren Bauern wie Kumei, Yong und Ta-ming, die mit irgendetwas den örtlichen Parteikader verärgert haben. Was glaubst du, wie lange die drei dort draußen durchhalten würden? Sie wären ziemlich schnell tot, meinst du nicht?«
»Du hörst dich an wie mein Onkel«, entgegne ich. »Immer Panik machen. Ich habe bisher noch nichts Schlechtes gesehen.«
»Und was war mit Ping-lis Ehemann?«
»Das hat er verdient!«
Z. G. schüttelt den Kopf. Wir kennen uns noch nicht lange, aber ganz offenbar enttäusche ich ihn, und das ärgert mich sehr.
»Ich sage das noch einmal.« Er bemüht sich um einen etwas freundlicheren Tonfall. »Was du tust, ist gefährlich – nicht nur für dich selbst, sondern auch für unsere Gastgeber.«
»Ich weigere mich, das zu glauben. Warum sollte das, was ich tue, für sie oder für sonst irgendjemanden Konsequenzen haben?«
»Auch für mich ist es gefährlich«, gesteht Z. G. ein. »Was glaubst du
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