Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)
»Runa liebte mich, Taurin liebte Runa, und du hast ihn doch nur getötet, weil du dachtest, du tätest es für mich. Das war grausam ... aber auch mutig.«
Sie wollte nicht widersprechen, weniger, weil sie ihm glaubte, sondern weil sie ihm nicht das Gefühl geben wollte, sie redeten aneinander vorbei und wären sich fremd.
»Ich weiß nicht, ob ich mutig bin. Ich weiß nur, dass die Menschen, die im Nordmännerland leben, viel Mut brauchen. Immer noch. Oder schon wieder - jetzt, wo Ludwig Outremer nach dem Land trachtet und wo der Friede einmal mehr bedroht ist.«
»Man nennt es nicht mehr Nordmännerland«, gab Arvid zu bedenken. »Man nennt es jetzt Normandie.«
Es war ganz gleich, wie man es nannte. Unwillkürlich schloss Gisla die Augen und betete zum ersten Mal seit Jahren nicht nur zum Schein, sondern aus dem Herzen.
»Agnus dei, qui tollis peccata mundi. Miserere nobis. Et dona nobis pacem.«
Ja, erbarme dich, Lamm Gottes, und gib uns Frieden.
Dem Land, dem toten Taurin, mir selbst, vor allem Arvid.
Als sie die Augen öffnete, blickte Arvid sie verwundert an, und da erst erkannte sie: Sie hatte nicht nur im Stillen gebetet. Sie hatte nach all den Jahren zum ersten Mal wieder gesungen.
N ACHWORT
Die Völker des Nordens, die ab dem 7. Jahrhundert zu Raubzügen in den Süden aufbrachen, werden heute gemeinhin als Wikinger bezeichnet - ein Name, den sich jene Männer selbst gegeben haben und der sich entweder vom Verb vigja (»schlagen«) ableitet, von der Phrase fara ì vìkingu (»auf Reisen sein«) oder von Viken, einem Küstenbezirk um den Oslofjord.
In den christlichen Quellen der damaligen Zeit ist hingegen nur selten von den Wikingern, vielmehr von Dänen oder Barbaren, Piraten oder Heiden, Ungläubigen oder eben nordmanni, Nordmännern, die Rede - Letzteres der Begriff, den ich in diesem Buch vorzugsweise verwende, leitet sich von diesem doch der Name der Normandie ab. Zu Lebzeiten Rollos war dieser Name übrigens noch nicht im Gebrauch. Man sprach vage vom Gebiet der Nordmänner oder vom »Nordmännerland«.
Auch was andere Eigennamen und Begrifflichkeiten anbelangt, habe ich diverse Entscheidungen treffen müssen: So benutze ich bei den Personennamen einheitlich die deutsche anstelle der französischen Form (Karl statt Charles, Gisla statt Giselle), weil die lingua romana, die im Westfrankenreich gesprochen wurde, mehr dem Lateinischen als dem uns bekannten Französischen gleicht. Bei Ortsnamen hingegen (Rouen, Laon, Saint-Clair-sur-Epte) habe ich mich an die heute gebräuchliche Bezeichnung gehalten, was zwar etwas anachronistisch anmutet, dem Leser aber die Orientierung erleichtern soll. Einzige Ausnahme stellt Norwegen dar, das in meinem Buch Norvegur genannt wird und das - übersetzt mit »Weg in den Norden« - weniger ein konkretes Staatengebilde bezeichnet, sondern die geographische Lage beschreibt.
Nachdem ich während früherer Recherchen über die Wikinger zum ersten Mal auf die Frankenprinzessin Gisla aufmerksam geworden bin, hat mich das Schicksal dieser Frau, für die die Angreifer aus dem Norden zunächst eine Geißel Gottes sind und die dessen ungeachtet plötzlich deren Anführer heiraten musste, nicht mehr losgelassen. Die Idee, daraus einen Roman zu machen, reifte jahrelang. Als ich mich eingehender mit den Quellen beschäftigte, um mehr über Gisla zu erfahren, stieß ich jedoch auf mehr Lücken als auf konkrete Informationen.
Grund dafür ist, dass die Ereignisse um Saint-Clair-sur-Epte und ihre Verlobung mit Rollo weitgehend im Dunkeln liegen. Der Chronist Dudon ist einer der wenigen, der darüber berichtet - allerdings lebte dieser erst Jahrzehnte später, ist also kein Zeitzeuge. In den Annalen der Normannen, auch als Annalen von Rouen bekannt, wird das Ereignis zwar beschrieben, doch ein Großteil dieses Textes ist verloren gegangen und musste später mühsam rekonstruiert werden. Die Annalen von Saint-Vaast, die viele Informationen über die damalige Zeit bieten, hören im Jahr 900 auf - die Annalen von Flodoard setzen erst im Jahr 919 an.
Nicht zuletzt aufgrund dieser mageren Quellenlage und der Tatsache, dass man über Gislas weiteres Leben nach 911 rein gar nichts mehr erfährt, bestehen berechtigte Zweifel daran, ob eine Heirat von Rollo und Gisla tatsächlich stattgefunden hat oder ob diese nicht vielmehr ins Reich der Legenden zu verweisen ist. Überdies lässt sich nicht einmal Gislas Existenz mit Sicherheit belegen: Zwar sprechen fränkische Quellen König
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