Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)
Karl dem Einfältigen eine Tochter dieses Namens zu, doch sie wurde erst um 907 geboren, kommt also als Rollos Braut nicht in Frage.
Viele Historiker nehmen darum an, dass es eine Verlobung oder gar eine Heirat von Rollo und Gisla nie gegeben hat, sondern hier lediglich eine Verwechslung vorliegt - hat sich doch ein anderer Anführer der Wikinger, Gottfried Haraldsson, etwa drei Jahrzehnte zuvor im Zuge seines Friedensschlusses mit Karl dem Dicken mit einer fränkischen Adligen namens Gisla vermählt.
Trotz dieses Mangels an Beweisen konnte ich von dem Thema nicht lassen - zumal mir Gislas Schicksal plötzlich als äußerst beispielhaft erschien. So viele Frauen mussten in früheren Epochen ihr persönliches Lebensglück politischen Bündnissen opfern, wurden einstigen Erzfeinden ungefragt und ungewollt ins Ehebett gelegt und waren hinterher bestenfalls Fußnoten der Geschichte - wenn sie nicht überhaupt völlig vergessen wurden.
Dass die Figur dieser Gisla und die Ereignisse um Saint-Clair-sur-Epte letztlich so rätselhaft bleiben, erscheint mir symptomatisch für einen Blick auf die Geschichte, in der die Taten von Kriegern mehr zählen als die Leiden von Frauen. Ich hingegen wollte den Blick gerade auf Letzteres lenken, nicht zuletzt, weil sich an der Gestalt von Gisla meines Erachtens ein Grundthema der Zeit herauskristallisiert, nämlich das, was man heutzutage wohl als Clash of Civilisations bezeichnen würde, als Kampf der Kulturen: Die nordisch-heidnische und die christlich-abendländische Kultur prallten im Nordfrankreich des 10. Jahrhunderts gewaltsam aufeinander, ehe sie langsam zusammenwuchsen. Die Angehörigen dieser Kulturen mussten nicht selten mit dem schmerzhaften Verlust von Heimat und Identität zurechtkommen und erst mühsam lernen, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen.
So habe ich aus den vielen Lücken, den vagen Vermutungen und den wenigen Behauptungen ein Konstrukt entwickelt, wonach Gisla eine uneheliche Tochter des Königs war - dass Karl der Einfältige mehrere »Bastarde« hatte, so die Söhne Arnulf, Drogo, Rorico und die Tochter Alpais, ist erwiesen -, jedoch kurz nach Saint-Clair-sur-Epte beziehungsweise vor der geplanten Eheschließung mit Rollo »verschwunden« ist. Bei der Schilderung der Ereignisse war viel Fantasie im Spiel, an manchen Stellen aber habe ich auf überlieferte Legenden zurückgegriffen, so zum Beispiel auf die Geschichte von zwei fränkischen Kriegern, im Buch Faro und Fulrad genannt, die Gisla in Rouen beschützen sollten, allerdings aufflogen und enthauptet wurden.
Diverse Legenden sind es im Übrigen auch, die Einzelheiten über Rollos Leben berichten und die nicht selten im Widerspruch zueinander stehen: Bis heute ist nicht geklärt, ob er nun aus Norwegen oder aus Dänemark stammte und ob er in den Süden zog, weil er aus seiner Heimat verbannt oder schlichtweg - wie viele andere seines Volkes - von den Reichtümern angelockt wurde. Anders als Historiker, die in ihren Fachbüchern diverse Deutungen einander gegenüberstellen, musste ich mich für eine von ihnen entscheiden - nämlich für die norwegische Variante.
Historisch verbürgt ist die Existenz von Popa, Rollos Konkubine und späterer Ehefrau und Mutter seines Sohnes und Erben Wilhelm, doch auch von ihrer Herkunftsgeschichte gibt es mehrere Varianten: Mal wird sie als keltische Sklavin bezeichnet, mal als Tochter des Grafen von Bayeux, die Rollo nach der Belagerung ihrer Heimatstadt in die Hände fiel.
Eine historische Figur ist ferner Hagano, der einflussreiche Günstling von Karl dem Einfältigen, der nicht zuletzt durch seine Machtgier das ruhmlose Ende des Königs mitverschuldet hat. Dass er allerdings schon 911 diesen Einfluss auf den König ausgeübt hat, ist eher zweifelhaft, taucht er in den Quellen doch erst gegen 917 auf. Ich wollte trotzdem nicht auf diese durchaus schillernde Figur verzichten - und habe ihm obendrein einen Vetter, Adarik, angedichtet.
Nicht nur hinsichtlich der Ereignisgeschichte gibt es Lücken, die ein Romanautor zu schließen hat.
Über das Alltagsleben der Wikinger wissen wir zwar gut Bescheid, denn wie sie gelebt, was sie gegessen, wie sie sich gekleidet oder wie sie ihre Schiffe gebaut haben, lässt sich nicht zuletzt dank diverser archäologischer Funde belegen. Ihre Religion ist jedoch ungleich schwerer zu erfassen, war sie doch keine Buchreligion, sondern baute auf vielen mündlich überlieferten Geschichten, Sagen und Mythen auf. Nicht selten wurden
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