Tochter des Ratsherrn
vertreten. Die Sonne schien warm vom Himmel, und die Vögel zwitscherten lieblich.
Albert hatte seinen Arm um Ragnhild gelegt, die ihren Kopf in seinen Schoß gebettet hatte. Hier im Wald, fernab von jedem Sittenwächter, nahm Ragnhild ihre Haube ab, sodass Albert mit seinen Fingern durch ihre immer grauer werdenden Haare fahren konnte.
»Albert«, begann Ragnhild das Gespräch, welches ihr schon so lange auf der Seele brannte.
»Was ist, meine Liebste?«
»Ich muss dir etwas gestehen.«
»Gestehen? Das klingt ja so, als hättest du Geheimnisse vor mir.«
»Ja, vielleicht habe ich eines«, erwiderte Ragnhild lachend. »Aber ich werde es jetzt mit dir teilen.«
»Nur zu, ich bin gespannt. Du bist doch nicht etwa schwanger?«, neckte er seine Frau, welche mit dreiundvierzig Jahren ganz sicher kein Kind mehr empfangen konnte.
»Sehr komisch, du Gaukler«, antwortete Ragnhild und bemerkte im selben Moment, wie sehr sie die Späße ihres Gemahls vermisst hatte. »Das, was ich dir sagen möchte, ist mir ernst.«
»Was ist es?«
»Versprichst du mir, dass du mich zuerst zu Ende anhören wirst, bevor du dich dazu äußerst?«
»Ja, wenn du willst, verspreche ich es.«
»Also gut, ich möchte nicht mehr in unser Kaufmannshaus zurückkehren. Ich weiß, das klingt für dich vielleicht verrückt, aber das habe ich mir nach unserer Ankunft in Eppendorf geschworen. Uns allen ist in der Reichenstraße so viel Leid widerfahren. So viele grausame Momente mussten wir durchstehen. Ich kann dort nicht mehr wohnen.«
Albert fasste Ragnhild bei den Schultern und zwang sie sanft, sich ihm gegenüberzusetzen. »Ragnhild, ich verstehe, dass das, was du erlebt hast, schlimm ist, aber wo willst du denn hin? Wie stellst du dir das vor?«
»Ich weiß es nicht, Liebster«, erwiderte sie und senkte den Blick. »Alles, was ich weiß, ist, dass ich in Zukunft mit Freuden in Armut leben werde, wenn ich dafür dich und meine Lieben in Sicherheit weiß. Ich bin zu alt, um mich mit missgünstigen Geistlichen oder hinterhältigen Ratsherren zu umgeben.«
Albert zog seine Frau wieder in die Arme. Er ertrug es kaum, den Schmerz in ihren Augen zu sehen. Wie recht sie doch mit ihren Worten hatte! »Tja, wenn du es wünscht, dann muss ich mir wohl etwas einfallen lassen. Da passt es ja ganz hervorragend, dass Graf Gerhard II. offenbar gar nicht daran denkt, mir mein Haus zurückzugeben, welches er im Tausch gegen meine Freiheit bekommen hat.«
Ragnhild lächelte. »Ja, das passt ganz hervorragend!«
Als es am späten Mittag allzu heiß draußen wurde, kletterten auch die Kinder, Marga und Margareta ins Wageninnere. Nur kurze Zeit später passierten sie das Dorf Odersfelde und erreichten am frühen Abend Hamburg, wo ihnen sogleich die überwältigenden Nachrichten der zweiten St.-Veitsmarkts-Versammlung zugetragen wurden.
Die Grafen hatten tatsächlich beschlossen, auf das Einsetzen zweier weiterer Vögte zu verzichten. Sowohl die Bursprake als auch das kluge Vorgehen von Willekin Aios und Johann Schinkel am gestrigen Tage hatte ihnen die Macht Hamburgs deutlich aufgezeigt. Noch am selben Abend verließen die Schauenburger mitsamt ihrem Gefolge die Stadt.
Walther hatte keine Gelegenheit mehr gehabt, sich bei Margarete von Dänemark zu bedanken, doch er war sich sicher, dass er sie eines Tages wiedersehen würde. Er hatte sein Wort gehalten und sich mit Runa versöhnt. Die vergangene Nacht war tränenreich für sie gewesen, doch als der Morgen graute, hatten sie einen Weg gefunden, der ihnen eine Zukunft versprach.
Runa hatte ihrem Gemahl zusichern müssen, Johann Schinkel ein für alle Mal aus ihrem Leben zu verbannen – wenn sie ihn auch niemals aus ihrem Herzen würde verbannen können. Damit es auch Walther gelingen konnte, die Liebe seiner Frau zu dem Ratsnotar zu vergessen, würde Thymmo gehen müssen. Es gab keinen anderen Weg. Gleich morgen würde Walther ihn zu Johann Schinkel bringen, wo der Junge fortan in der Domschule unter der Aufsicht seines wahren Vaters erzogen werden würde – auch wenn es Runa fast das Herz brach.
Nach der Rückkehr der Familie aus Eppendorf waren alle das erste Mal seit langer Zeit wieder an einem Tisch vereint. Auch wenn es jeder ahnte, so sprach es doch niemand aus: Für unbestimmte Zeit würden sie das letzte Mal in dieser Runde zusammensitzen. Es war ungewiss, wie lange sich Walthers Haus noch im Besitz der Familie befinden würde, denn die Frist zur Rückzahlung von Margaretas Brautgabe lief in
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