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Tochter des Schweigens

Titel: Tochter des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: West Morris L.
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bedauern zu dürfen, das Recht, immer so zu leben, wie es ihm gefiel, und doch stets eine Brust zu haben, an der er sich ausweinen konnte. Mit einem letzten Geniestreich machte er sich selber zum Prügelknaben und wußte doch, daß die Schläge einen anderen treffen würden. Nie würde er ein schlaueres Plädoyer halten können – und nie ein unwürdigeres.
    Als Valeria mit ausgestreckter Hand auf Carlo zuging, glaubte Landon schon, er hätte gewonnen. Doch dann blieb sie plötzlich stehen und fragte mit fast unbeteiligter Stimme:
    »Wohin willst du gehen, Carlo?«
    Er wandte sich ihr halb zu und sagte, fast um Verzeihung bittend: »Das brauchst du nicht zu fragen. Ich habe dir genug Kummer gemacht. Aber damit ist es jetzt vorbei – das verspreche ich.« Er lachte unsicher. »Ich habe Peter heute gesagt, mir fehlten die Worte. Seltsam! Und jetzt stellt sich heraus, ich habe sie die ganze Zeit gewußt. Ich sage sie einfach nur zu spät. Das war schon immer mein Kummer. Ein kleiner Mann, der zu spät groß geworden ist. Es tut mir leid.«
    Landon glaubte fast die Schlußformel: »Das ist alles, Herr Präsident!« zu hören. Rienzi stieß sich vom Kaminsims ab und ging langsam und mit schleppenden Schritten auf die Tür zu. Er hatte sie noch nicht erreicht, als Ascolinis Stimme, klar wie ein Trompetenstoß, ertönte.
    »Unsinn, Junge! Jedes Wort ist Unsinn! Hast dich zum Narren gemacht. Das passiert jedem einmal. Das ist jedermanns Recht. Aber du hast kein Recht, ein so albernes Bekenntnis auf uns abzuladen. Reiß dich zusammen. Wein dich in einer Kneipe aus, wenn's sein muß. Oder sonstwo. Aber hier benimm dich wie ein Mann und halt den Mund!«
    Einen Augenblick verharrte Rienzi mit ausdruckslosem Gesicht und schwankend unter der Wucht der Worte. Dann verhärtete sich sein Gesicht, und gleichzeitig flog der Anflug eines Lächelns um seine Lippen. Er hob eine Hand zu einem spöttischen Gruß.
    »Sie sind ein besserer Advokat als ich, dottore, Sie werden es immer bleiben.«
    Dann gaben seine Knie nach, Landon sprang vor, fing ihn auf und trug ihn in das Gästezimmer. Er warf ihn aufs Bett und überließ ihn Valeria, die ihm mit einem bitteren kleinen Lächeln gefolgt war.
    Landon war dankbar für ihr Schweigen. Er hatte nichts für theatralische Redereien und betrunkene Akteure übrig. Aber Carlo Rienzi war immerhin ein großer Schauspieler – ein Vorteil für einen Anwalt und für manche Frauen sogar ein annehmbarer Ersatz für Männlichkeit. Valeria akzeptierte ihn wenigstens ohne Illusionen. Möglicherweise allerdings schuf sie sich bereits eine. Die Liebe war eine blinde Göttin, die ohne erkennbare Anteilnahme über den Komödien stand, die in ihrem Namen gespielt werden.
    »Es wird Zeit, daß wir gehen, Peter«, sagte Ninette Lachaise.
    »Es wird Zeit, daß wir anfangen, uns um uns selber zu kümmern. Wir sind schon zu lange in dieser Stadt.«
    Sie standen nebeneinander auf der Terrasse der Villa, sahen den Mond aufgehen und hörten die ersten Nachtigallen schlagen, während über ihnen matt die Sterne Schimmer ten. Landon zog Ninette an sich und sagte sanft:
    »Ich liebe dich, Mädchen. Ich habe nie geglaubt, daß ich jemals jemanden so lieben könnte. Aber bist du auch ganz sicher, willst du es mit mir riskieren?«
    »Ein Risiko ist immer dabei«, sagte Ascolini hinter ihnen. »Aber nur die Weisen wissen es. Geht jetzt nach Haus, ihr beiden. Und wenn ihr es für richtig haltet, laßt euch trauen – aber macht es schnell. Zeit ist das Kostbarste, was ihr habt – ihr solltet das besser wissen als ich.«
    Er gab ihnen die Wagenschlüssel und zog zwei wunderschöne alte Bände aus der Tasche. Den einen reichte er Ninette mit der anzüglichen Bemerkung: »Für Sie, meine Liebe. Darin finden Sie all das, was Ihr Mann für Sie empfinde, aber nicht ausdrücken kann, weil er ein langweiliger Kerl ist, der nur seinen Fachjargon beherrscht. Es sind Petrarcas Sonette an Laura – und der Band ist von Elzevir. Es ist ein Hochzeitsgeschenk. Mein Herz hängt daran – und meine ganze Liebe.«
    Ninette legte dankbar die Arme um seinen Hals und küßte ihn. Er zog sie an sich und schob sie dann sanft hinweg.
    »Nehmen Sie sie, Landon, bevor ich sie selber zum Altar entführe. Hier ist was für Sie, mein Freund.« Er reichte Landon den zweiten Band und sagte verschmitzt: »Ein Aretin, seine Sonette – Sie sind alt genug, um Freude daran zu finden, und jung genug, sie nicht zu brauchen.« Er nahm ihre Arme und führte

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