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Tochter des Windes - Roman

Tochter des Windes - Roman

Titel: Tochter des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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hat, spürt diese Dinge.
    Mein Hotel befand sich in der Stadtmitte, nur wenige Minuten vom Wenzelsplatz und dem Prager Opernhaus entfernt. Der Bau war wuchtig, die Säle und Zimmerfluchten pompös, für Gäste eingerichtet, die vornehme Ruhe suchten. Heutzutage war die Vornehmheit  – zumindest teilweise  – flötengegangen. Das Hotel hatte Verträge mit Reisebüros geschlossen, die ihre Gruppen aus aller Welt in die gediegenen Räume schütteten. Schon morgens erlebte ich mit leichter Betroffenheit, wie sich die weiß gedeckten Frühstückstische unter den Lüstern in ein Stillleben von fettigen Tellern, gebrauchten Kaffeetassen, zerknüllten Servietten und Brotresten verwandelten; die Gruppenreisenden hatten frenetisch in sich hineingestopft, was zu haben war. Die überforderten Kellnerinnen rannten wie gehetzt hin und her, trugen Berge von schmutzigem Geschirr in die Küche. Das kommunistische Regime hatte den Dienstleistungssektor wenig gefördert. Weil ich ohne Frühstück denkunfähig bin, griff ich zur Selbsthilfe: Halb leere Kaffeekannen standen reihenweise herum, saubere Tassen fand ich auf der Anrichte, und aus verschiedenen Resten stellte ich mir ein Frühstück zusammen. Niemand nahm Anstoß daran, und es funktionierte
allemal. Mir wurde gesagt, dass die meisten Touristen erst im Sommer kämen, was eh kein Trost war.
    Das »Alfons-Mucha-Museum«, das ich gleich am ersten Morgen besichtigte, befand sich gegenüber vom Hotel. Mucha malte Frauen, die ich stets als herrlich sinnlich empfunden hatte; diese Figuren, von Symbolen umgeben, mit Ähren oder Klatschmohn gekrönt, waren allesamt epische Schönheiten, weder gefällig noch frivol, ungeachtet dessen, ob sie Sarah Bernhardt als »Gismonda« und »Kameliendame« darstellten oder auf Plakaten für Kakao und Zigarren warben.
    Es war ein hochmütiges Frauenbild, das der Künstler entwarf, den Madonnen der Renaissance Lichtjahre fern. Der Engel erschien mit gebieterisch erhobener Hand, die Madonna beugte das Haupt: »Ich bin die Magd des Herrn.« Bei »Medea« hatte der Engel nichts zu suchen, Medea hätte ihn wütend abblitzen lassen, da waren eher die Furien am Werk. Gab es einen Engel irgendwo, dann in Gestalt eines Sterns, den die im Schnee verirrte Bäuerin mit meditativer Gleichmut betrachtete. Ein Stern ist ein Stern ist ein Stern…
    Weibliche Allegorien mit schmachtendem Blick, entblößter Brust und Lilien im Arm gab es in Prag viele zu besichtigen. Oft am Rande des Kitsches, aber souverän weit weg vom schlechten Geschmack. Stets waren in den Farben der Glasfenster und der Mosaiken Elemente vorhanden, die dem Ganzen eine Art vergeistigte Harmonie verliehen und das Auge entzückten. In einer Zeit, in der alles wie aus der Retorte kommt, war Prag eine Stadt, die Geschichten erzählte. Prag erzählte von Märchen und Sagen, von Krieg und Befreiung, von der Religion und vom Kommunismus, von der Musik und der Kunst und von dem, was man daraus machen kann.
    Das Problem eines Einzelreisenden ist, dass er niemanden
hat, mit dem er reden kann. Kein Gedankenaustausch findet statt, die Worte bleiben stecken wie ein Kloß in der Kehle. Stand ich in einer Traube von Besuchern vor der astronomischen Uhr am Rathausturm, bimmelte das Glockenspiel vergeblich für mich. Die zwölf Apostel erschienen, der Tod  – in Gestalt eines Skeletts  – schlug mit seiner Glocke, alle spendeten Applaus, nur ich machte ein brummiges Gesicht, weil hier alle froh waren und ich am Rande der Depression stand. Ging ich über die Karlsbrücke mit ihren berühmten Barockstatuen, während die Moldau langsam vorbeifloss, wehte ein lauer Wind, und der Himmel weit über Prag war freundlich. Die Moldau war ein mütterlicher, beständiger Fluss, der Zeitepochen mit sich führte wie Schwemmsand. Es musste schön sein, diese sanfte Stärke zu spüren, sich ihr zu überlassen. Aber weil die Menschen dem, was sie sehen, hören und fühlen, das Klima ihrer eigenen Seelen und ihre eigenen Widersprüche hinzufügen, fand ich das Wasser schmutzig und dachte an Giftmüll. Inzwischen blickten die heilige Ludmilla, der heilige Judas Thaddäus, der heilige Ivo, die heilige Barbara und wie sie sonst noch hießen, missbilligend auf mich herab. Dass ich etwas Schönes banal fand, gefiel ihnen nicht. Banal wurden die

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